Foto: Robert Colditz

 

 

 

Gospel – Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten am 27. März 2022
mit Pfr. Johannes Wittich und dem Erlöserkirche Gospel Choir

Chor: Celebrate
Spruch: Ps. 71,8:

Mein Mund sei voll deines Lobes, deines Ruhms den ganzen Tag.

Begrüßung:

Come on let’s celebrate – lasst uns feiern, hat der Chor gerade gesungen. Ist uns wirklich nach Feiern, in Zeiten wie diesen, mit all den Ängsten und Befürchtungen, die wir haben, mit dem all dem Schrecklichen, was um uns herum geschieht? Ja, uns ist nach Feiern, all dem zum Trotz, was uns davon abhalten will. Nicht nach ausgelassener, oberflächlicher Party, sondern nach Momenten, in den wir das Leben wieder spüren, Gemeinschaft erfahren, merken, dass wir gehalten und getragen sind, von Mitmenschen und von Gott. Das können wir feiern, Gott dankbar dafür sein und ihn loben. Unsere Anlässe zum Feiern teilen wir mit Gott, wenn wir in seinem Namen zusammenkommen, im Namen des Vaters und der Sohnes und des Heilgen Geistes. Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 279, 1-2: Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren

1) Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren, rühmt seines Namens Herrlichkeit,
und feierlich ihn zu verklären, sei Stimm und Saite ihm geweiht.
Sprecht: Wunderbar sind deine Werke, o Gott, die du hervorgebracht;
auch Feinde fühlen deine Stärke und zittern, Herr, vor deiner Macht.

2) Dir beuge sich der Kreis der Erde, dich bete jeder willig an,
dass laut dein Ruhm besungen werde und alles dir sei untertan.
Kommt alle her, schaut Gottes Werke, die er an Menschenkindern tat!
Wie wunderbar ist seine Stärke, die er an uns verherrlicht hat!

Gebet:

Guter Gott!
Wir kommen zu dir und bringen uns mit,
unser ganzes Leben, unsere Träume und Pläne,
unsere Ängste und Befürchtungen
unser Versagen und unsere Schuld.
Schenke du uns Vergebung,
neue Freiheit,
und lass uns leben
im Vertrauen auf dich,
getröstet von deinem Wort und,
gehalten von deiner Liebe.
Gott, wir suchen unseren Weg.
Wir fragen nach unserem Platz in dieser Welt,
unserem Auftrag
und unseren Möglichkeiten.
Wir gehen auf die Karwoche zu
und blicken auf das Kreuz Jesu Christi.
Du hast ihn, deinen Sohn,
den die Menschen verurteilten,
zu einem Zeichen der Hoffnung werden lassen.
Hilf uns, aus dieser Hoffnung zu schöpfen,
Einsichten und Erkenntnisse zu gewinnen,
damit unser Leben gelingt.
Amen.

Lesung: Psalm 71, 1-8:

1Bei dir, Herr, suche ich Zuflucht,
ich will nicht zuschanden werden auf ewig.
2In deiner Gerechtigkeit rette und befreie mich,
neige zu mir dein Ohr und hilf mir.
3Sei mir ein Fels, eine Wohnung,
zu der ich immer kommen kann.
Du hast zugesagt, mir zu helfen,
denn du bist mein Fels und meine Burg.
4Mein Gott, befreie mich aus der Hand des Frevlers,
aus der Faust des Gewalttäters und Unterdrückers.
5Denn du bist meine Hoffnung, Herr, Herr, mein Gott,
meine Zuversicht von Jugend an.
6Auf dich habe ich mich verlassen vom Mutterleib an,
vom Schoss meiner Mutter hast du mich getrennt,
dir gilt mein Lobpreis allezeit.
7Ein Zeichen bin ich für viele,
du bist meine starke Zuflucht.
8Mein Mund sei voll deines Lobes,
deines Ruhms den ganzen Tag
.

Chor: My good lords done been here
Predigt: Mt. 21, 14-16

14Und es kamen Blinde und Lahme im Tempel zu ihm, und er heilte sie. 15Als aber die Hohen Priester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosanna dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig 16und sagten zu ihm: Hörst du, was die da sagen? Jesus sagt zu ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen: Aus dem Munde von Unmündigen und Säuglingen hast du dir Lob bereitet?

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!

„My good Lord’s done been here, blest my soul and gone away” – hat der Chor gerade gesungen. Nein, kein Grund an den eigenen Englischkenntnissen zu zweifeln: der Satz ist tatsächlich grammatikalisch gewagt und in der Folge nur schwer zu verstehen. Wir haben dieses Lied in einer Version des afroamerikanischen Komponisten Moses Hogan gesungen, einem klassisch geschulten Pianisten und Komponisten, der hier ein altes „Negroe Spiritual“ aufgenommen und bearbeitet hat. Diese Musikrichtung, also die Lieder der afrikanischen Sklaven in den USA im 19. Jahrhundert kennen wir: „Go down, Moses“, oder „Swing low, sweet chariot“ oder „Josua fought the battle of Jericho“, um nur ein paar Beispiele zu nennen – wobei auch letzterer Titel eigentlich „Josuah fit the battle of Jericho“ heißt. Also wieder ein sehr eigenwilliger Umgang mit den vorgegebenen Regeln der, in diesem Falle, englischen Sprache.

Szenenwechsel: Jesus im Tempel von Jerusalem. Blinde und Lahme kommen zu ihm, wird berichtet, und er heilt sie. Das erregt Aufsehen. Aufsehen, das den Autoritäten im Tempel, den Hohen Priestern und den Schriftgelehrten nicht gefällt. Was ich interessant finde ist: es sind Wunder, die sie stören, was an sich schon fragwürdig ist – schließlich sollte man sich doch mit den Geheilten freuen. Aber mehr noch: die begeisterten Rufe der Kinder über das, was sie da erleben, gehen den Tempelautoritäten gegen den Strich. Und dass Jesus offensichtlich völlig unbeeindruckt davon ist.

„Hosanna dem Sohn Davids!“ rufen die Kinder. In zwei Wochen, am Palmsonntag, werden wir wieder hören, wie dasselbe kurz vor unserer heutigen Szene von Erwachsenen gerufen wurde, beim Einzug Jesu in Jerusalem. Ich bin daher versucht, zu vermuten, dass die Kinder mit ihrem Geschrei das nachmachen, was sie gerade erst auf der Straße erlebt haben, mitten in der jubelnden Menge. Dass sie einen Jubelruf aufnehmen, vielleicht ohne im Geringsten zu verstehen, was er bedeutet, außer dass es irgendetwas mit Begeisterung zu tun haben muss, und diese ist ja durchaus angemessen angesichts der Heilungswunder, die Jesus tut.

Ja, ich stelle mir das so vor: die Kinder machen „die Großen“ nach – und den Hohen Priestern und Schriftgelehrten passt das nicht. Ihnen hat schon der Jubel der Erwachsenen bei der Ankunft Jesu in Jerusalem nicht gepasst. Dieser Jubelruf – ein einziger Skandal! „Hosanna“ – ursprünglich eine Bitte um bleibende Hilfe an Gott, nach einem Sieg; später dann ein freudiger Zuruf zu Ehren Gottes oder des Königs. Das rufen die Menschen jetzt diesem Jesus zu, einem fragwürdigen Wanderprediger mit noch fragwürdigeren Ansichten. Er steigt damit aus dem Blickwinkel der Menschenmenge in göttliche Sphären auf, wird umjubelt wie ein König. „Sohn Davids“ nennen sie ihn, und was damit gemeint ist, ist klar, denn: aus dem Haus Davids wird der Erlöser, der Messias kommen.

Mehr hat das, so würde man es wohl heute sagen, „religiöse Establishment“ nicht gebraucht. Das Volk pfeift auf die religiösen Autoritäten und beschließt selbst, wem sie folgen, wem sie vertrauen, wen sie als Boten Gottes sehen. Und jetzt plappern die kleinen Kinder das auch noch nach! Der Hosanna-Ruf, an sich schon skandalös genug, wird quasi zum Schlachtruf der Jesus-Fans, egal wie alt.

„Merkst du nicht, was da abläuft?“, fragen die Hohen Priester und Schriftgelehrten nun Jesus. Mehr noch: „Ist die dir das nicht peinlich, nicht unangenehm? Willst du nicht selbst, dass sie damit aufhören?“

Nein, sagt Jesus. „Kindermund tut Wahrheit kund“ wird es dann Jahrhunderte später einmal in einem deutschen Sprichwort heißen. Oder, biblisch gesagt: aus dem Mund von Unmündigen und Säuglingen schafft sich Gott ein Lob. Was Jesus damit meint ist: die Kinder machen nix Falsches. Im Gegenteil: intuitiv haben sie das Richtige erkannt. Die Heilungswunder Jesus zeugen von seiner Gottesnähe. Da haben begeisterte Jauchzer durchaus ihren Platz.

So wie das in allen Momenten ist, in denen wir uns reich beschenkt fühle. Das Leben ein Wunder ist. Wir Gottes Liebe, Großzügigkeit und Fürsorge erleben. „Taste and see“

Chor: Taste and see

Zurück zu den afrikanischen Sklaven in Nordamerika: „My good Lord’s done been here, blest my soul and gone away.” Diese Menschen haben in ihren „Spirituals“ ganz genau gewusst, wovon sie singen. Ihre Lieder sind Reflexion, ja Analyse der Situation, in der sie stecken, geprägt durch schreckliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, durch Rechtlosigkeit, Ausbeutung, Unterdrückung. Welche Sprengkraft diese Lieder gehabt haben, können wir nur erahnen, nicht nur als Menschen einer anderen Zeit, sondern ganz grundsätzlich als Außenstehende, als privilegierte weiße Europäerinnen und Europäer. Ein afroamerikanischer Kollege im Studium in New York hat mir bewusst gemacht, dass die „Negroe Spirituals“ politisch zu lesen sind, oder „befreiungstheologisch“, wie das 100 Jahre später dann einmal heißen würde: Mose geht zum Pharao, der ein Sklavenhalter ist und den Gott deshalb vernichten wird. Die Mauern der mächtigen Stadt Jericho brechen zusammen, so wie ein Unrechtssystem der Sklaverei zusammenbrechen muss, und zwar weil Gott es so will. Ja, selbst „Swing low, sweet chariot“ besingt nur vordergründig unseren Weg in die Ewigkeit. Vielmehr geht es, nach Meinung dieses Kollegen, um die Kutsche, die entflohene Sklaven in den Norden oder gar nach Kanada bringen soll, also in Staaten, in denen die Sklaverei verboten ist.

So ähnlich, denke ich, können wir auch „My good Lord’s done been here” verstehen: Gott ist zu mir gekommen, ausgerechnet zu mir, zu einem Menschen, der gesellschaftlich ganz unten steht. So tief kann niemand sinken, als dass Gott ihn nicht finden würde. Gott war da, bei mir, kann der singende Sklave oder die singende Sklavin mit Stolz und Selbstbewusstsein sagen. Es mag so scheinen, dass er für den Moment auch wieder gegangen ist. Aber: indem er da war, hat er mich, meine Seele gesegnet. Damit ist alles anders geworden. Mein Gott war da, und der ist nicht der Gott der weißen Sklavenhalter. Das zu wissen, ist meine Macht – in aller Ohnmacht.

Und um diese feste Überzeugung, um diesen stärkenden Glauben wirklich deutlich zum Ausdruck bringen zu können, dafür kann man die Grenzen der Grammatik auch einmal sprengen. Gott ist nicht nur hier, bei mir gewesen, er hat es wirklich getan, dass er bei mir gewesen ist. Und er ist noch immer da, auch wenn es so aussieht, dass er wieder gegangen sei. Sprachlich nicht ganz korrekt und logisch, aber emotional nachvollziehbar. Und, so finde ich, Spiegel einer inspirierenden Lebens- und Glaubenshaltung.

Wir können singen von dem, was geschieht, wenn Gott Menschen berührt, sie tröstet, aufbaut, motiviert und inspiriert. Wir können davon singen, in nicht immer ganz korrekten Tönen, in seltsam klingenden Formulierungen, in Sprachen, die wir nur bedingt beherrschen und verstehen. Wo Gott Menschen berührt, da werden Grenzen gesprengt.

Dass das so ist, können wir gleich erleben – nämlich indem wir Hebräisch singen. Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 433: Hevenu schalom alejchem
Gebet:

Vater im Himmel!
Wir danken dir für deine Ermutigung.
In Jesus Christus,
zeigst du uns den Anfang, den Weg
und das Ziel des Glaubens.

Wir bitten dich für deine Menschheit auf Erden
um wache Gewissen und den Willen zum Frieden,
um den Mut zur Begegnung und zur Versöhnung.

Wir bitten dich für deine Christenheit in all ihren Konfessionen:
Lass weiter Vertrauen wachsen in der Zusammenarbeit,
ermutige Gemeinden und Kirchen aufeinander zuzugehen
und sich des gemeinsamen Auftrags zu erinnern.

Wir bitten dich für die Kirchen und Gemeinden in feindseliger Umwelt,
dass sie trotz aller Bedrückung den Mut nicht sinken lassen
und den Zusammenhalt nicht verlieren.

Wir bitten dich für die Menschen,
die ihre Heimat verlassen mussten aus Angst,
auf der Flucht vor Verfolgung und Krieg:
Hilf zur Einsicht, dass ihr Schicksal
von Menschen gemacht und verantwortet ist
und ermutige Schritte,
sich dem zu widersetzen.

Wir bitten dich für die Einsamen und Verlassenen,
die Menschen in Haftanstalten,
für die Alten, die Kranken und die Sterbenden:
Lass uns menschlich miteinander umgeben,
im Leben und im Sterbe.

Wir bitten dich für uns alle mit unseren Fragen und Sorgen,
in unseren Nöten und Ängsten:
Komm du uns nah mit deinem belebenden Geist,
wecke neue Hoffnung in uns
und halte uns in der Spur des guten Hirten,
auf dem Weg der Nachfolge Jesu Christi.

Und gemeinsam beten wir …

Unser Vater …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Chor und Gemeinde: Evangelisches Gesangbuch 432, 1-3: Gott gab uns Atem

Nachspiel: Martin A. Seidl: Präludium und allemande aus: “Euterpe. Musikalischer Parnassus” von Johann Caspar Ferdinand Fischer (1656 – 1746)