Gospel – Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten am 27. März 2022
mit Pfr. Johannes Wittich und dem Erlöserkirche Gospel Choir
Chor: CelebrateSpruch: Ps. 71,8:Mein Mund sei voll deines Lobes, deines Ruhms den ganzen Tag. Begrüßung:Come on let’s celebrate – lasst uns feiern, hat der Chor gerade gesungen. Ist uns wirklich nach Feiern, in Zeiten wie diesen, mit all den Ängsten und Befürchtungen, die wir haben, mit dem all dem Schrecklichen, was um uns herum geschieht? Ja, uns ist nach Feiern, all dem zum Trotz, was uns davon abhalten will. Nicht nach ausgelassener, oberflächlicher Party, sondern nach Momenten, in den wir das Leben wieder spüren, Gemeinschaft erfahren, merken, dass wir gehalten und getragen sind, von Mitmenschen und von Gott. Das können wir feiern, Gott dankbar dafür sein und ihn loben. Unsere Anlässe zum Feiern teilen wir mit Gott, wenn wir in seinem Namen zusammenkommen, im Namen des Vaters und der Sohnes und des Heilgen Geistes. Amen. Lied: Evangelisches Gesangbuch 279, 1-2: Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren1) Jauchzt, alle Lande, Gott zu Ehren, rühmt seines Namens Herrlichkeit, 2) Dir beuge sich der Kreis der Erde, dich bete jeder willig an, Gebet:Guter Gott! Lesung: Psalm 71, 1-8:1Bei dir, Herr, suche ich Zuflucht, Chor: My good lords done been herePredigt: Mt. 21, 14-1614Und es kamen Blinde und Lahme im Tempel zu ihm, und er heilte sie. 15Als aber die Hohen Priester und Schriftgelehrten die Wunder sahen, die er tat, und die Kinder, die im Tempel schrien: Hosanna dem Sohn Davids!, wurden sie unwillig 16und sagten zu ihm: Hörst du, was die da sagen? Jesus sagt zu ihnen: Ja! Habt ihr nie gelesen: Aus dem Munde von Unmündigen und Säuglingen hast du dir Lob bereitet? Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder! „My good Lord’s done been here, blest my soul and gone away” – hat der Chor gerade gesungen. Nein, kein Grund an den eigenen Englischkenntnissen zu zweifeln: der Satz ist tatsächlich grammatikalisch gewagt und in der Folge nur schwer zu verstehen. Wir haben dieses Lied in einer Version des afroamerikanischen Komponisten Moses Hogan gesungen, einem klassisch geschulten Pianisten und Komponisten, der hier ein altes „Negroe Spiritual“ aufgenommen und bearbeitet hat. Diese Musikrichtung, also die Lieder der afrikanischen Sklaven in den USA im 19. Jahrhundert kennen wir: „Go down, Moses“, oder „Swing low, sweet chariot“ oder „Josua fought the battle of Jericho“, um nur ein paar Beispiele zu nennen – wobei auch letzterer Titel eigentlich „Josuah fit the battle of Jericho“ heißt. Also wieder ein sehr eigenwilliger Umgang mit den vorgegebenen Regeln der, in diesem Falle, englischen Sprache. Szenenwechsel: Jesus im Tempel von Jerusalem. Blinde und Lahme kommen zu ihm, wird berichtet, und er heilt sie. Das erregt Aufsehen. Aufsehen, das den Autoritäten im Tempel, den Hohen Priestern und den Schriftgelehrten nicht gefällt. Was ich interessant finde ist: es sind Wunder, die sie stören, was an sich schon fragwürdig ist – schließlich sollte man sich doch mit den Geheilten freuen. Aber mehr noch: die begeisterten Rufe der Kinder über das, was sie da erleben, gehen den Tempelautoritäten gegen den Strich. Und dass Jesus offensichtlich völlig unbeeindruckt davon ist. „Hosanna dem Sohn Davids!“ rufen die Kinder. In zwei Wochen, am Palmsonntag, werden wir wieder hören, wie dasselbe kurz vor unserer heutigen Szene von Erwachsenen gerufen wurde, beim Einzug Jesu in Jerusalem. Ich bin daher versucht, zu vermuten, dass die Kinder mit ihrem Geschrei das nachmachen, was sie gerade erst auf der Straße erlebt haben, mitten in der jubelnden Menge. Dass sie einen Jubelruf aufnehmen, vielleicht ohne im Geringsten zu verstehen, was er bedeutet, außer dass es irgendetwas mit Begeisterung zu tun haben muss, und diese ist ja durchaus angemessen angesichts der Heilungswunder, die Jesus tut. Ja, ich stelle mir das so vor: die Kinder machen „die Großen“ nach – und den Hohen Priestern und Schriftgelehrten passt das nicht. Ihnen hat schon der Jubel der Erwachsenen bei der Ankunft Jesu in Jerusalem nicht gepasst. Dieser Jubelruf – ein einziger Skandal! „Hosanna“ – ursprünglich eine Bitte um bleibende Hilfe an Gott, nach einem Sieg; später dann ein freudiger Zuruf zu Ehren Gottes oder des Königs. Das rufen die Menschen jetzt diesem Jesus zu, einem fragwürdigen Wanderprediger mit noch fragwürdigeren Ansichten. Er steigt damit aus dem Blickwinkel der Menschenmenge in göttliche Sphären auf, wird umjubelt wie ein König. „Sohn Davids“ nennen sie ihn, und was damit gemeint ist, ist klar, denn: aus dem Haus Davids wird der Erlöser, der Messias kommen. Mehr hat das, so würde man es wohl heute sagen, „religiöse Establishment“ nicht gebraucht. Das Volk pfeift auf die religiösen Autoritäten und beschließt selbst, wem sie folgen, wem sie vertrauen, wen sie als Boten Gottes sehen. Und jetzt plappern die kleinen Kinder das auch noch nach! Der Hosanna-Ruf, an sich schon skandalös genug, wird quasi zum Schlachtruf der Jesus-Fans, egal wie alt. „Merkst du nicht, was da abläuft?“, fragen die Hohen Priester und Schriftgelehrten nun Jesus. Mehr noch: „Ist die dir das nicht peinlich, nicht unangenehm? Willst du nicht selbst, dass sie damit aufhören?“ Nein, sagt Jesus. „Kindermund tut Wahrheit kund“ wird es dann Jahrhunderte später einmal in einem deutschen Sprichwort heißen. Oder, biblisch gesagt: aus dem Mund von Unmündigen und Säuglingen schafft sich Gott ein Lob. Was Jesus damit meint ist: die Kinder machen nix Falsches. Im Gegenteil: intuitiv haben sie das Richtige erkannt. Die Heilungswunder Jesus zeugen von seiner Gottesnähe. Da haben begeisterte Jauchzer durchaus ihren Platz. So wie das in allen Momenten ist, in denen wir uns reich beschenkt fühle. Das Leben ein Wunder ist. Wir Gottes Liebe, Großzügigkeit und Fürsorge erleben. „Taste and see“ Chor: Taste and seeZurück zu den afrikanischen Sklaven in Nordamerika: „My good Lord’s done been here, blest my soul and gone away.” Diese Menschen haben in ihren „Spirituals“ ganz genau gewusst, wovon sie singen. Ihre Lieder sind Reflexion, ja Analyse der Situation, in der sie stecken, geprägt durch schreckliche Lebens- und Arbeitsbedingungen, durch Rechtlosigkeit, Ausbeutung, Unterdrückung. Welche Sprengkraft diese Lieder gehabt haben, können wir nur erahnen, nicht nur als Menschen einer anderen Zeit, sondern ganz grundsätzlich als Außenstehende, als privilegierte weiße Europäerinnen und Europäer. Ein afroamerikanischer Kollege im Studium in New York hat mir bewusst gemacht, dass die „Negroe Spirituals“ politisch zu lesen sind, oder „befreiungstheologisch“, wie das 100 Jahre später dann einmal heißen würde: Mose geht zum Pharao, der ein Sklavenhalter ist und den Gott deshalb vernichten wird. Die Mauern der mächtigen Stadt Jericho brechen zusammen, so wie ein Unrechtssystem der Sklaverei zusammenbrechen muss, und zwar weil Gott es so will. Ja, selbst „Swing low, sweet chariot“ besingt nur vordergründig unseren Weg in die Ewigkeit. Vielmehr geht es, nach Meinung dieses Kollegen, um die Kutsche, die entflohene Sklaven in den Norden oder gar nach Kanada bringen soll, also in Staaten, in denen die Sklaverei verboten ist. So ähnlich, denke ich, können wir auch „My good Lord’s done been here” verstehen: Gott ist zu mir gekommen, ausgerechnet zu mir, zu einem Menschen, der gesellschaftlich ganz unten steht. So tief kann niemand sinken, als dass Gott ihn nicht finden würde. Gott war da, bei mir, kann der singende Sklave oder die singende Sklavin mit Stolz und Selbstbewusstsein sagen. Es mag so scheinen, dass er für den Moment auch wieder gegangen ist. Aber: indem er da war, hat er mich, meine Seele gesegnet. Damit ist alles anders geworden. Mein Gott war da, und der ist nicht der Gott der weißen Sklavenhalter. Das zu wissen, ist meine Macht – in aller Ohnmacht. Und um diese feste Überzeugung, um diesen stärkenden Glauben wirklich deutlich zum Ausdruck bringen zu können, dafür kann man die Grenzen der Grammatik auch einmal sprengen. Gott ist nicht nur hier, bei mir gewesen, er hat es wirklich getan, dass er bei mir gewesen ist. Und er ist noch immer da, auch wenn es so aussieht, dass er wieder gegangen sei. Sprachlich nicht ganz korrekt und logisch, aber emotional nachvollziehbar. Und, so finde ich, Spiegel einer inspirierenden Lebens- und Glaubenshaltung. Wir können singen von dem, was geschieht, wenn Gott Menschen berührt, sie tröstet, aufbaut, motiviert und inspiriert. Wir können davon singen, in nicht immer ganz korrekten Tönen, in seltsam klingenden Formulierungen, in Sprachen, die wir nur bedingt beherrschen und verstehen. Wo Gott Menschen berührt, da werden Grenzen gesprengt. Dass das so ist, können wir gleich erleben – nämlich indem wir Hebräisch singen. Amen. Lied: Evangelisches Gesangbuch 433: Hevenu schalom alejchemGebet:Vater im Himmel! Wir bitten dich für deine Menschheit auf Erden Wir bitten dich für deine Christenheit in all ihren Konfessionen: Wir bitten dich für die Kirchen und Gemeinden in feindseliger Umwelt, Wir bitten dich für die Menschen, Wir bitten dich für die Einsamen und Verlassenen, Wir bitten dich für uns alle mit unseren Fragen und Sorgen, Und gemeinsam beten wir … Unser Vater … Segen:Der Herr segne dich und behüte dich, Chor und Gemeinde: Evangelisches Gesangbuch 432, 1-3: Gott gab uns AtemNachspiel: Martin A. Seidl: Präludium und allemande aus: “Euterpe. Musikalischer Parnassus” von Johann Caspar Ferdinand Fischer (1656 – 1746) |