Predig am 1. September 2024

 

PREDIGTTEXT – JEREMIA 22,29

„Land, Land, Land, höre das Wort des HERRN!“

 

PREDIGT

Liebe Gemeinde,

alle, die schon einmal über den Wielandplatz auf unser Kirchgebäude zugegangen sind – also vermutlich alle von euch – haben diesen Vers aus dem Buch des Propheten Jeremia schon einmal gesehen. Bewusst oder ein bisschen unbewusst.

Ziemlich selbstbewusst stehen diese Prophetenworte auf der Fassade und machen klar; in diesem recht unscheinbaren Haus verbirgt sich ein Ort, an dem das Wort des HERRN etwas gilt. Eben ein Gotteshaus.

Es ist das erste, was man von der Kirche hier sieht. Ein Wegweiser hierher, ein Bekenntnis hinein in eine multikulturelle und multireligiöse Umgebung.

Aber diese wenigen Worte sind vielmehr als das – vielmehr als ein origineller Regionalbezug.

Sie sind ein ganz kurzgefasster Wegweiser hin zu Gott. Und zwar nach einem genuin evangelischen Verständnis.

Sola Scriptura“ – alleine die Schrift heißt eben auch „solo verbo“ – nur das Wort Gottes

Daran kann man fast nicht oft genug erinnern und ich beginne meine Zeit hier gerne damit:

Für uns als Evangelische ist das Wort Gottes, wie es uns in der Heiligen Schrift begegnet, alleinige Glaubensgrundlage.

Wir haben unsere Glaubensüberzeugungen nur, ausschließlich, daraus zu gewinnen.

Daneben hat nichts anderes Platz, darf nichts anderes treten. Keine persönlichen Meinungen, keine politischen oder ideologischen Inhalte – klar. Aber auch keine Traditionen, keine Gebräuche oder Überlieferungen.

In den Berner Thesen von 1528 heißt es: „Die christliche Kirche ist aus dem Wort Gottes geboren. In diesem Wort soll sie bleiben und nicht auf die Stimme irgendeines Fremden hören.“

Unsere Kirche, unser Glaube gründet sich alleine auf das Wort Gottes.

Daran sollten wir uns immer wieder gegenseitig erinnern – gegenseitig, nicht nur ich euch, sondern auch ihr mich.

Als Pfarramtskandidat, als Prediger bin ich zuvorderst „Diener am Wort Gottes“ – so verstehe ich das und daran darf, ja soll, man mich auch gerne immer wieder erinnern.

Das klingt jetzt alles vielleicht ein bisschen harsch, ein bisserl sehr fromm oder sogar fundamentalistisch.

Und ich meine, wenn ich vom Wort Gottes als alleiniger Grundlage unseres Seins als Christen und Gemeinde spreche, keinen radikalen, fromm-naiven Biblizismus.

Das Wort Gottes zu seinem Recht kommen lassen meint nicht, zu glauben, dass Adam und Eva mit den Dinosauriern gespielt haben oder dass Zahlenangaben in der Bibel immer wortwörtlich zu verstehen sind.

Ich denke, es meint sogar das Gegenteil: wenn wir eben nichts Anderes neben dem Wort gelten lassen wollen, dann verlangt das ja von uns auch eine intensive, nachfragende und auch kritische Auseinandersetzung eben damit.

Und dafür stehen wir als Reformierte eigentlich auch. Eben, weil wir das Wort nicht einfach mit irgendetwas Anderem ersetzen können, sondern weil wir immer wieder darauf zurückgeworfen sind. Gerade auch dann, wenn es sperrig, kompliziert, ungemütlich daher kommt.

„Denn lebendig ist das Wort Gottes, wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert“ – haben wir vorhin aus dem Hebräerbrief gehört.

Um in diesem etwas sperrigen, martialischen Bild vom Schwert zu bleiben; eine Schneide des Wortes weist auf uns; auf uns als Christen, als Gemeinde.

Und eine weist auf die Umgebung.

Land, Land, Land, höre das Wort des Herrn“ – heißt es ja.

Es geht also nicht nur darum, dass wir als Individuen und als Gemeinde – also als irgendwie doch geschlossenes System – das Wort Gottes unter uns wirken lassen.

Der Prophet Jeremia hat es auch nicht nur denen gesagt, die ohnehin zu seiner „Bubble“ gehört haben. Die eh in seinem Umfeld waren und ohnehin das Gleiche geglaubt und gedacht haben.

Ganz im Gegenteil – an das „Land“ richtet sich die Aufforderung, das Wort Gottes zu hören.

Also an die Umgebung, das Umfeld – eigentlich an alle.

Der Glaube des Einzelnen, das eigene Geführtwerden durch das Wort das ist nur eine Seite der Medaille.

Dieses Wort des Propheten ruft uns genauso dazu auf, das „Land“ in den Blick zu nehmen.

Und zwar durch die Brille des Wortes Gottes. In der Wahrnehmung des Landes und der Welt als Schöpfung Gottes, der Menschen, als die, um derer Willen Christus gestorben ist. Das Evangelium gilt ihnen allen.

Das meint jetzt nicht – das wäre ein Missverständnis – das Umfeld, das Land, nur als Missionsgebiet wahrzunehmen. Allen ungefragt dauernd Bibelstellen um die Ohren zu hauen oder mit einem Schriftenstand auf der Favoritenstraße zu stehen – wobei das eigentlich auch einmal eine Überlegung wert wäre …

Es meint das Land im prophetischen Sinne als Ort wahrzunehmen, an dem der Wille Gottes, wie er sich in seinem Wort zeigt, auch zur Geltung kommen muss.

Wenn wir im Buch des Propheten Jeremia (bzw. bei allen Propheten) lesen, dann gibt es viel, was man „Sozialkritik“ nennen könnte. Oder politisches Verkündigen.

Das Land als einen Ort zu begreifen, der auch von uns mitgestaltet, beeinflusst, bespielt werden kann – das ist der Auftrag des Prophetenwortes.

Aber eben aus einem bestimmten Beweggrund heraus: aus dem, was Wort Gottes wirksam werden zu lassen.

Vom Wort Gottes her – nicht aus politischen Überzeugungen, nicht von Parteizugehörigkeit oder –Sympathie her gedacht und verstanden.

Sondern aus der christlichen Haltung von Engagement und Nächstenliebe. Das Wort Gottes kann gehört und gesagt werden – aber es kann eben auch erlebt und getan werden.

Die Frohe Botschaft ist mehr als nur Kanzelrede und verbale Verkündigung. Sie ist Tat und Haltung.

Und zu einer solchen sind wir aufgerufen, wenn wir Zeugen des Wortes Gottes sein wollen.

Freilich – wir wenige mögen nicht die ganze Welt verändern können. Wahrscheinlich nicht einmal unser Gemeindegebiet …

Aber zumindest im Kleinen das tun, was wir vermögen, das ist christliche Aufgabe.

Herr, öffne mir die Herzenstür“ haben wir vorhin in den Worten des Theologen Johannes Olearius aus dem 17. Jahrhundert gesungen.

Für das Wort Gottes – damit wir seinen Willen erkennen und tun können.

Aber eben auch für die Nöte und Anliegen der Nächsten. Hier in der Gemeinde, in unseren Familien und Umgebungen – aber eben auch darüber hinaus – in Land und Gesellschaft.

Land, Land, Land, höre das Wort des Herrn“ – lasst euch das immer wieder zurufen. Und ruft es selber weiter. Als Prophetinnen und Propheten, als Künder des Evangeliums.

Und für uns und euch selber: als Ermutigung, als Zuspruch, als Bestärkung.

Möge das Wort Gottes Richtschnur, Wegweiser und Mutmacher sein. In unserem Wirken als Gemeinde und in unseren Leben.

Das gebe Gott.

Amen

PAK Leopold Potyka