Predig am 10. November 2024 in der
PREDIGTTEXT – MICHA 4,1-8: „Und in fernen Tagen wird der Berg des Hauses des HERRN fest gegründet sein, der höchste Gipfel der Berge, und er wird sich erheben über die Hügel. Und Völker werden zu ihm strömen, und viele Nationen werden hingehen und sagen: Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN, zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns in seinen Wegen unterweise und wir auf seinen Pfaden gehen. Denn vom Zion wird Weisung ausgehen und das Wort des HERRN von Jerusalem. Und er wird für Recht sorgen zwischen vielen Völkern und mächtigen Nationen Recht sprechen, bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden und ihre Speere zu Winzermessern. Sie werden das Schwert nicht erheben, keine Nation gegen eine andere, und das Kriegshandwerk werden sie nicht mehr lernen. Und ein jeder wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum, und da wird keiner sein, der sie aufschreckt, denn der Mund des Herrn der Heerscharen hat gesprochen! Denn alle Völker gehen, ein jedes, im Namen des eigenen Gottes, wir aber, wir gehen im Namen des HERRN, unseres Gottes, für immer und alle Zeit! An jenem Tag, Spruch des HERRN, will ich das Hinkende aufnehmen und das Versprengte sammeln: jene, über die ich Unheil gebracht habe. Dann mache ich das Hinkende zum Rest und das Versprengte zur mächtigen Nation, und der HERR wird König sein über sie auf dem Berg Zion von nun an bis in Ewigkeit. Und du, Turm der Herde, Ofel der Tochter Zion, zu dir wird sie gelangen und kommen, die frühere Herrschaft, die Königsherrschaft für die Tochter Jerusalem.“
PREDIGT Liebe Gemeinde, was für ein schöner Text das doch ist. Diese Vision des Propheten Micha. Diese Rede von Frieden und Einigkeit, vom Verstummen der Waffen und dem Umbauen der Kriegsgeräte. In packenden, ja ikonisch gewordenen Worten hören wir hier von einer freundlichen, friedlichen Zukunft. Worte, die sich Friedensbewegungen in der Geschichte angeeignet haben, die mehr als nur Slogan, zur Parole geworden sind für das Bemühen um Abrüstung, Deeskalation, Freiheit. Das wissen Sie wahrscheinlich besser als ich. Und auch wenn diese Worte von den „Schwertern zu Pflugscharen“ das sind, wofür dieser Abschnitt, ja der Prophet Micha ganz grundsätzlich, bekannt ist, erschöpft sich das hier Geschrieben nicht darin. Es ist ein Teil dieser gesamtheitlichen Vision, ein Aspekt – sicherlich ein zentraler – dieser Schauung. Und es ist eben das, eine Vision, eine Zukunftsahnung, eine Schauung von etwas, das, wie es heißt: „in fernen Tagen“ passieren wird. Es ist – leider – keine Beschreibung der Gegenwart. Nicht zu Zeiten des Propheten, nicht in unseren Zeiten. Und es ist – Gottseidank – keine Beschreibung eines Soll-Zustandes im Hier und Jetzt. Weil wir doch, wenn wir diese, wie alle prophetischen Worte, als einen unmittelbaren Auftrag, als eine akut zu erfüllende Erwartung, verstünden, verzweifeln müssten. Verzweifeln davor, wie unendlich weit sich unsere Welt davon entfernt anfühlt, was hier geschildert wird. Wie fern Eintracht unter den Nationen, Frieden auf der Erde, das Zusammenkommen aller im Namen Gottes und auf seinem heiligen Berg ist. Es ist aber auch nicht nur eine Vision. Nicht nur eine vage Idee von etwas, das womöglich niemals eintritt. Nicht eine Illusion, eine idealisierte Ausschmückung. „In fernen Tagen“ – das ist nicht jetzt, aber es ist auch nicht niemals. Einmal wird das sein, was hier beschrieben wird. Das ist die Zusage solcher prophetischen Reden, das ist die Hoffnungsbotschaft, die umso heller leuchtet, je finsterer es ansonsten ist. Diese Spannung, dieser manchmal unerträgliche Graben zwischen „Jetzt noch nicht“ aber „Irgendwann schon“ – in dieser leben wir. Als Gläubige, als die, die sich diese Worte angehen lassen, die darauf hoffen, dass es einmal so wird und damit hadern, dass es noch nicht so weit ist. Wir stehen als Hörerinnen und Hörer des Wortes mit einem Fuß in unserer Zeit und mit einem Fuß in der Zukunft, in der Hoffnung, dort, wo das wahr wird, wo es Realität wird, was der Prophet hier verkündet. Wir stehen auf beiden Füßen; nicht nur in der Gegenwart, nicht nur in der Zukunft. Nicht nur im Schauen und nicht nur im Hoffen; sondern in beidem; sowohl als auch. Und zu beidem ermutigt uns dieser Text, zu beidem sind wir aufgerufen, beides soll in unserem Glauben und Handeln Platz haben. Das Jetzt und das Dann. Die Gegenwart und die Zukunft, die Gott gehört. Egal, wie fern die Tage noch sein mögen, an denen Realität wird, was wir hier lesen. Nehmen wir dieses „Dann“, dieses „An jenem Tag“ noch einmal in den Blick: Hier geht es um eine Wallfahrt, eine Pilgerfahrt, einen gemeinsamen Aufbruch der Nationen, der Völker, aller Menschen – mit einem gemeinsamen Ziel; den Berg Gottes, ja Gott selber. Dieser Tag ist nicht heute und wohl auch nicht morgen. Aber von der Hoffnung auf einen solchen Tag, von dem Glauben daran, dass er einmal sein wird, soll unser Leben erfüllt sein. Von einer Hoffnung, die sich nicht aus dem speisen muss, was wir tagtäglich sehen und hören, sondern die darauf gründet, dass es einmal – wann Gott will – so wird, wie es Micha hier schildert. Dass einmal Friede und Einheit herrscht unter den Völkern und Nationen und der Tag des HERRN einmal kommen wird. Als Christen können wir zu diesem alttestamentlichen Bild ergänzen: Dass der Friedensfürst Jesus Christus wiederkommt um sein Reich in dieser Welt endgültig aufzurichten. Aber bis dahin sind wir nicht angehalten, nur in der Erwartung zu leben – auch wenn diese der Motor unseres Seins ist. Nicht nur im Hoffen, sondern auch im Schauen auf das, was jetzt ist. Das „Dann“ ist doch kein Grund, das „Jetzt“ völlig aus dem Blick zu verlieren. Und die Hoffnung auf die Zukunft kein Grund, die Gegenwart nicht wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil: Gerade weil wir unseren Trost und unsere Zuversicht nicht daraus schöpfen müssen, wie es jetzt ist, können wir dieses Jetzt getröstet und hoffnungsvoll wahrnehmen und hier handeln. Gerade weil wir nicht auf Menschen, auf Parteien auf politische Führung vertrauen müssen, nicht alle unsere Hoffnung auf Menschgemachtes setzen, sondern auf den Herrn von Zeit und Ewigkeit trauen, kann und soll unser Blick freier, froher, mutiger auf das blicken, was uns im Jetzt umgibt. Prophetisches Reden verweist in die Zukunft, aber es will auch die Gegenwart ändern. Und der Prophet Micha selber ist das beste Zeugnis dafür, dass sein Reden nicht etwas bleiben muss, das ungehört und unbeachtet verhallt. Als reine Vision oder Illusion. Seine Reden, seine scharfen Anklagen, sein Einfordern von Gerechtigkeit und zumindest einer Minderung der Unterdrückung bestimmter Schichten hat damals (um 700 v.Chr.) wohl tatsächlich zu einem Umdenken bei den Mächtigen, namentlich dem König von Juda Hiskija geführt. Die waren nicht alle von langer Dauer, aber zeigen doch, dass prophetisches Reden nichts ist, was folgenlos bleiben muss. Es kann verändern – im Großen wie im Kleinen. Die so unrealistisch, unerreichbar, unschaffbaren Visionen einer Welt im Frieden können sicherlich nicht im Handstreich von uns paar Evangelischen erfüllt werden – das ist Gottes Aufgabe, ja Gottes Eigenrecht. Aber so wie König Hiskija auf die Worte des Propheten gehört hat und versucht hat, das seinige davon umzusetzen, so sind auch wir immer und immer wieder angehalten, die Worte der Schrift in unserem Leben, in unseren Gesellschaften umzusetzen. Allzu oft wird das beim Versuch bleiben. Oder wir erzielen nur kurzfristige Erfolge: wenn ich auf der Kanzel dazu auffordere, mehr in der Bibel zu lesen, weiß ich, dass das allermeist keine langfristigen Wirkungen zeitigt. Aber so wie jedes Wort der Schrift, das gelesen wird Segen oder Trost bringen kann, so kann auch jede kleinste Handlung des Friedens ihre Wirkung entfalten. Werden wir damit den Weltfrieden herbeiführen – oder den absoluten Frieden in unserer akuten Umgebung? Wohl nicht, noch sind die Visionen Michas in „fernen Tagen“, ja können in dieser herrlichen Fülle noch nicht eintreffen. Aber jeder Schritt hin zum Frieden, jeder Schritt hin auf den heiligen Berg Zion, hin zur Anbetung des einen Gottes, unseres Gottes und Erlösers, ist ein Schritt auf unserer Pilgerfahrt und ein Schritt auf der Wallfahrt der Völker. Micha legt diesen Völkern einen Vorsatz in den Mund: „Kommt und lasst uns hinaufziehen zum Berg des HERRN, zum Haus des Gottes Jakobs, damit er uns in seinen Wegen unterweise und wir auf seinen Pfaden gehen.“ Möge das auch unser Vorsatz, unser Vorhaben – unsere Vision – sein. Auf den Pfaden Gottes zu gehen; jetzt und in Zukunft. Uns unterweisen lassen in seinen Wegen – und das sind Wege des Friedens und der Versöhnung. Amen PAK Leopold Potyka |