Predig am 25. Dezember 2024 in der Erlöserkirche
PREDIGTTEXT – JOHANNES 1,1-14: Im Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos. Dieser war im Anfang bei Gott. Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist auch nicht eines geworden, das geworden ist. In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. Es trat ein Mensch auf, von Gott gesandt, sein Name war Johannes. Dieser kam zum Zeugnis, um Zeugnis abzulegen von dem Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kämen. Nicht er war das Licht, sondern Zeugnis sollte er ablegen von dem Licht. Er war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der zur Welt kommt. Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt. Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. Die ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus Blut, nicht aus dem Wollen des Fleisches und nicht aus dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott gezeugt sind. Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit.
PREDIGT Liebe Gemeinde, was für ein Text! Natürlich: eine der bekanntesten Stellen der Bibel, unzählige Male zitiert, aufgenommen, abgewandelt. Ein unglaublich komplexer, dichter Abschnitt, dieser „Johannesprolog“ – also eine Einführung in das 4. Evangelium. Unglaublich dicht, besonders deswegen, weil hier schon viele der wichtigen Begriffe fallen, die der Evangelist in weiterer Folge nutzt. Schwer zu durchdringen, kompliziert zu verstehen aber besonders auch deswegen, weil es so eine Art kreisförmige Rede ist. Besonders in den ersten Versen scheint es fast eine mantrahafte Wiederholung zu sein. Der Schweizer Schriftsteller Christian Uetz hat das einmal augenzwinkernd aber ziemlich treffend aufgegriffen und diese ersten Verse sozusagen umgeschrieben. Bei ihm geht das dann folgendermaßen: „Im Anfang war das Wort und das Wort war das Wort und das Wort war das Wort und dieses war im Anfang das Wort. Durch dieses ist alles gewortet worden, was gewortet worden ist. Und ohne es ist nicht eines gewortet worden, was gewortet worden ist.“ Damit, auch wenn das witzig und nicht zuerst theologisch gemeint ist, fängt er den ersten Schwindel ein, der sich beim Hören und Lesen dieses Abschnitts wohl einstellt. Und führt uns gleich hinein in diesen Text und zu einem Begriff, der nicht nur hier, sondern in unserem ganzen Sein als Christinnen und Christen grundlegend ist – dem „Wort“, dem „Logos“. Von diesem Wort ist hier viel in abstrakter Sprache die Rede, in vorzeitlichen Begriffen, in ursächlichen Zusammenhängen – das greif Uetz so zielsicher auf, wenn das „Wort gewortet wird“ usw. All dies ist irgendwie kaum fassbar, weil es nichts ist, das wir angreifen, betrachten, behandeln können. Nicht, das wir im Letzten begreifen können. Weil es vor unserer und aller Zeit passiert ist und zudem in auf einer Ebene, die uns höchstens in theologischen Gedankenspielen zugänglich ist. Dabei könnte man es bewenden lassen und den Johannesprolog zu den schönen, sprachlich eindrucksvollen, aber spekulativen und unkonkreten Texten wegschlichten. Ja, lieber Leo, Du hast recht- und auch wieder nicht: Es ist wirklich eine sprachlich beeindruckende theologische Pirouette, die Johannes da zu Beginn seines Evangeliums dreht. Und sie verfehlt ihre hypnotische Wirkung nicht! Ist man kirchlich sozialisiert kennt man den Prolog, kann vielleicht sogar den Anfang auswendig, wenn man dann aber genauer nachfragt, sagen die meisten Menschen: „Klingt super, versteh ich aber nicht“. Dabei glaube ich, dass man sich durch die kreisförmige Struktur des Textes auch ein wenig im Kreis und in die Irre führen lässt. So nach dem Motto, was sprachlich so kompliziert klingt, das muss auch wahnsinnig kompliziert, komplex und unverständlich vom Inhalt her sein. Zerlegt man den Text aber in einzelne Abschnitte, finde ich, dass er sehr konkrete durchaus verständliche Wahrheiten ausspricht. Nimm doch nur den ersten Absatz; Gott erschuf die Welt indem er Ordnung in das Urchaos brachte. Indem er seine Vorstellung von dieser Ordnung formulierte, mit jedem „Es werde…“schuf er Leben. Nichts wäre ohne dieses „Es werde…“ entstanden. Und mit seinem Wort hat Gott die Menschen nicht nur geformt, sondern auch begleitet, er gab ihnen immer ziemlich konkrete Anweisungen auf den Weg, wie sie sich verhalten sollen um in dieser Ordnung zu bleiben und es gut zu haben, aber sie haben es immer wieder geschafft es zu vermasseln. So ungefähr wäre für mich jetzt mal ganz einfach zusammengefasst der Inhalt des ersten Absatzes unseres Textes. Oder mache ich es mir da zu leicht? Ganz genau – der Johannesprolog greift am Anfang das auf, was wir auch schon am Beginn der Bibel, im Buch Genesis lesen können. Dort lesen wir, wie Gott durch sein Wort Welt und Leben schafft. Und eben dieses Wort ist es, das hier bei Johannes wieder vorkommt – wieder in einem schöpferischen Zusammenhang, wieder mit Anfang und Leben und Licht verbunden. Aber bei aller Ähnlichkeit doch ganz anders. Im „Es werde…“ der Schöpfung wird berichtet, wie alles wurde was ist. Hier aber wird eigentlich erzählt, wie ein Bestimmter in die Welt gekommen ist. Nicht als Schöpfung, sondern selber als „Wort“ beziehungsweise mehr als das, als „Logos“. Gott begleitet die Menschen – das hast du, liebe Gerti, so schön gesagt. Das so festzuhalten ist richtig und wichtig. Diese Begleitung und Führung erfolgt durch das Wort. Durch das schöpferische Wort im Anfang, durch die leitende Ansprache Gottes – denken wir an Abraham oder Jakob – durch das Wort im Text des Gesetzes und in den Reden der Propheten. Aber all diese Anwendung von Gottes Wort waren dann – salopp gesagt – nicht genug. „Vermasselt“ haben es die Menschen, wir Menschen, eben immer wieder. So dass letztendlich Gott nicht mehr nur durch sein Wort, sondern in seinem Wort in die Welt gekommen ist. „Er kam in das Seine“ – so heißt es im Text. Es ist sicherlich recht deutlich, worauf sich das bezieht, dieses Kommen des Logos in das ihm Eigene. Aber es gibt dazu noch einen Nachsatz, und der macht mich immer ein bisschen nachdenklich. Denn da heißt es noch: „…und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ Da frage ich mich dann selber schon: Sind wir, bin ich damit gemeint – oder was können wir aus dieser Bemerkung als Anspruch oder als Zuspruch für uns mitnehmen? Geht das nur mir so, dass ich da ins Grübeln komme? Nein, es geht mir ganz genauso – und weißt du, ich habe den Verdacht, dass dieser Text genau dafür geschrieben worden ist um uns ins Grübeln zu bringen. Es ist im Grunde ja die Weihnachtsgeschichte, die uns hier erzählt wird, aber eben nicht wie in den andern Evangelien als gefällige Geschichte mit bunter Ausstattung und viel Zierart. Das hier, das ist das Konzentrat von allen anderen biblischen Weihnachtserzählungen – und wie das bei Konzentraten so ist, sie schmecken nicht so gut, sind nicht so bekömmlich wie die „verdünnte“ Version. Das im Grunde so unfassliche Wunder, dass Gott Mensch wird, der Himmel die Erde berührt und damit das Reich Gottes mitten unter uns zu wohnen beginnt ist hier verpackt in…ja, wenn Du so willst… einen Meditationstext, der das Wichtigste, was wir wissen und verstehen müssen zusammenfasst und vielleicht müssten wir ihn ebenso wie die frommen Juden das „Höre Israel…“ bei jeder Gelegenheit, Tag und Nach beten um ihn wirklich zu verstehen- soweit er eben verständlich ist, denn irgendein Geheimnis wird immer bleiben, weil Gott eben auch immer eine geheimnisvolle Seite haben wird, trotz aller Zuwendung zu uns. Aber wenn wir uns den Text öfter einmal hervorholen würden, dann wäre uns vielleicht bewusster, dass wir alles haben, was wir brauchen, um die Unheilsgeschichte dieser Welt durch die Heilgeschichte, die Gott durch sein fleischgewordenen Wort in unsere Hände gelegt hat. Das ist aber zugegebenermaßen eine Vorstellung, die einen Menschen schon überfordern kann… Da reichen die Ohren zum Hören nicht, das muss tief in uns eindringen und dazu muss man es oft genug hören. Jedes Jahr einmal reicht da sicher nicht aus. Ich glaube, weil genau das der Anspruch des Textes ist, endet unser Abschnitt auch mit den Worten, ja mit der Verkündigung: „Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit“. Freilich, das kann man als historischen Bericht verstehen – sozusagen als alternative Lesart zu Lukas 2, als vergeistigte Geburtserzählung – oder als beschönigte – schließlich ist hier nicht vom armen Stall und der kümmerlichen Krippe die Rede. Oder wir verstehen diese Worte als eine Schilderung eines bleibenden Ereignisses. Um den von dir, liebe Gerti, genutzten Begriff zu verwenden; als Konzentrat das nicht nur einmal vor über 2000 Jahren ausgegossen und aufgenommen wurde, sondern immer und immer wieder neu von uns zu uns genommen werden möchte. Unter uns wohnen will. Nicht physisch verstanden, sondern geistlich. Unsere Herzen als Wohnstatt des Logos. Als Krippe des Wortes. „Und die Seinen nahmen ihn nicht auf“ – heißt’s. Manchen, vielen, war und ist das Konzentrat zu intensiv – gerade in diesem Text, gerade in der verkündeten Botschaft. Unter uns, bei uns, in uns aber, da will das Wort aufgenommen werden. Und unser Anspruch den wir zu Weihnachten an uns selber richten sollten, ist doch der, das Wort, die Frohbotschaft von Gottes Zuwendung, seinem Kommen in die Welt, bei uns aufzunehmen. Als Meditationstext für Jede und Jeden, als etwas, was im Herzen bewegt werden möchte, immer neu und immer wieder bedacht und in Erinnerung gerufen. Vielleicht aber auch über das Individuelle hinaus? Ergeben sich daraus möglicherweise Konsequenzen, Haltungen, Zugänge für Gemeinde, Umfeld, unseren Platz und unsere Rolle in Land und Welt?. Oh ja, das glaube ich durchaus! Denn würden wir es aufnehmen, das Wort, den Logos, nicht nur mit den Ohren, sondern mit dem Herzen, dann würden Gemeinden, Stadt, Land und die ganze Welt anders aussehen, als dies zur Zeit der Fall ist. Denn dann würden wir die Welt mit Gottes Augen sehen, so, wie er sie gemeint hat, wenn es in der Schöpfungsgeschichte heißt „Und Gott sah, dass es gut war“. Davon sehen wir gerade recht wenig. Und wir benehmen uns auch beileibe nicht so, dass man in uns die Kinder des gütigen, menschenfreundlichen Gottes, den wir gerade zu Weihnachten feiern. Würde Gottes Wort, das gesagte und das fleischgewordene tatsächlich in unseren Herzen wohnen, dann müsste uns der Mund übergehen mit ganz anderen Botschaften als denen, die täglich in die Welt hinausposaunt werden und die leider auch in viel zu vielen Christenmenschen aufgegriffen werden mit Absicht oder einfach, weil man sie gedankenlos nachplappert. Aber weißt Du, es ist halt wirklich so ein unglaubliches und welterschütterndes Ereignis, von dem da im Prolog des Johannes so poetisch geredet wird… Immerhin fängt damit ja auch eine neue Zeitrechnung an. Gott wird Mensch in einem Kind, das Wort wird quasi lebendig und später wird dieses Kind für uns den Tod überwinden. Das ist doch wirklich so absolut unfassbar was uns da zugesagt wird, da kann es schon sein, dass unser Verstand, der an Sichtbares, Berechenbares und Wahrscheinliches gewöhnt ist, erst einmal streikt und man die Ereignisse von Weihnachten – wenn nicht in den Bereich der Märchen. So doch der frommen Hoffnungen einordnet und sich wieder dem alltäglichen, unweihnachtlichen Alltag zuwendet, anstatt den Johannes-Prolog täglich vor sich hinzumurmeln und anzuerkennen, dass die Tatsache, dass das Wort Fleisch wurde eine völlig neue Realität geschaffen hat, die nicht mit Ende der Geschichte vom neugeborenen Kind im Stall endet, sondern bis jetzt immer noch andauert. Wow! Das fordert uns eigentlich ganz schön was ab! Absolut! Weihnachten fordert. Nicht so sehr das liebgewordene Brauchtum, sicher auch nicht so sehr die vertraute Geschichte von der Geburt im ärmlichen Stall und den redlichen Hirten und so weiter. Aber das Ereignis an sich – das ist fordernd, weltenverändern, eigentlich unerhört und – wie du sagst – nicht mit einer Geburt vor über 2000 Jahren erledigt. Die Zeitrechnung dauert an – das merken wir jedes Silvester, wenn wir in ein neues Jahr „nach Christi Geburt“ eintreten. Eine neue Zeit ist mit Weihnachten angebrochen. Eine neue Realität durch das Kommen des Logos in die Welt eingetreten. Das ist eigentlich unbegreiflich, wenn wir es recht bedenken eigentlich unfassbar, kaum zu glauben und gar nicht zu verstehen. Das fordert und fordert heraus. Dazu, Weihnachten nicht ein Fest im Jahreskreis sein zu lassen, nicht einen Anlass, halt mal wieder in die Kirche zu gehen, Geschenke zu kaufen und das Weihnachtsevangelium zu hören. Sondern dieses Kommen, diesen Advent, immer mit sich zu tragen. Losgelöst von all dem Historischen, Berichtenden, Zeitgebundenen drum herum, sondern als etwas, das uns immer angeht, das unser Leben immer verändern, unsere Welt immer neu gestalten kann. Dieses Weihnachten, von dem Johannes schreibt, das ist nicht ein Abend und der folgende Tag, das ist 365 Tage im Jahr. Seit dem Kommen Jesu bis zum Ende der Zeiten. Immer bei uns immer unter uns – als Anspruch an uns, unser Leben danach zu gestalten. Aber genauso auch als Zuspruch, als Stärkung, als Grund für Zuversicht, Hoffnung und Freude. „Seid fröhlich und jubelt miteinander“ (Jes 52,9a) haben wir vorhin in der Lesung gehört. Das geht nicht immer und nicht immer leicht. Aber manchmal, da gelingt uns das dann doch. Vielleicht auch heute, hier in der Kirche am Tisch des Herrn, vielleicht in unseren Familien und Freundeskreisen. Und vielleicht gelingt es uns doch auch, das Fordernde und Fröhliche, den Anspruch und die Freude des Johannesprologes, der Weihnachten mitzunehmen – überall dorthin, wo wir sind und wirken können. Amen Gerti Rohrmoser & Leopold Potyka |