Kirchenraum

 

 

Andacht aus der reformierten Erlöserkirche, Wien-Favoriten, 15. März 2020
mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelpräludium
Psalm 91, 4-6:

4 Mit seinen Schwingen bedeckt er dich, und unter seinen Flügeln findest du Zuflucht, Schild und Mauer ist seine Treue.
5 Du musst dich nicht fürchten vor dem Schrecken der Nacht, vor dem schwirrenden Pfeil am Tag,
6 nicht vor der Pest, die umgeht im Finstern, vor der Seuche, die wütet am Mittag.

Begrüßung:

Seid herzlich begrüßt zur Andacht in beunruhigend, irritierenden, Sorgen
machenden Zeiten. In einer Situation, die wohl noch niemand von uns je so erlebt hat. Die gerade deswegen Ratlosigkeit in uns auslöst, weil wir nicht auf irgendeine bereits gemachte Erfahrung, auf bewährte Lösungen zurückgreifen können.
Bis auf eine: dass wir uns auf unseren Glauben besinnen, dem Zuspruch Gottes vertrauen, und so der Angst zumindest etwas entgegensetzen können.
Darum beten, singen, hören, reden wir gemeinsam, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Gebet:

Guter Gott!
Ratlos sind wir,
und besorgt.
Um uns, unsere Lieben, unsere Mitmenschen,
um unsere Gesundheit, unsere Arbeit,
um den Frieden in unserem Land
um Arbeitsplätze und Wirtschaft.
Wir erkennen unsere Grenzen,
und spüren sie schmerzhaft.
Wir erleben, wie wir an unsere Grenzen geraten,
mit Verstehen, Erfassen, den Durchblick behalten.
Wir schauen auf die,
die Entscheidungen treffen können und müssen,
hoffen, dass es die richtigen sind,
und fühlen uns selbst ausgeliefert.
Wir kommen zu dir.
Alles, was in uns vorgeht,
ist nun hier, in diesem Raum, in diesem Moment,
in unserem Miteinander.
Wir bringen es zu dir.
Unser Glaube sagt uns,
dass es bei dir gut aufgehoben ist.
Unser Glaube braucht aber Bestärkung,
neu geschenkte Gewissheit,
wieder entdecktes tiefes Vertrauen.
Schenke uns das alles,
wenn wir feiern,
in deiner Gegenwart,
und in deinem Namen.
Amen.

Lied: 369, 1-3.7: Wer nur den lieben Gott lässt walten

1) Wer nur den lieben Gott lässt walten
und hoffet auf ihn allezeit,
den wird er wunderbar erhalten
in aller Not und Traurigkeit.
Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut,
der hat auf keinen Sand gebaut.

2) Was helfen uns die schweren Sorgen,
was hilft uns unser Weh und Ach?
Was hilft es, dass wir alle Morgen
beseufzen unser Ungemach?
Wir machen unser Kreuz und Leid
nur größer durch die Traurigkeit.

3) Man halte nur ein wenig stille
und sei doch in sich selbst vergnügt,
wie unser’s Gottes Gnadenwille,
wie sein Allwissenheit es fügt;
Gott, der uns sich hat auserwählt,
der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt.

7) Sing, bet und geh auf Gottes Wegen,
verricht das Deine nur getreu
und trau des Himmels reichem Segen,
so wird er bei dir werden neu;
denn welcher seine Zuversicht
auf Gott setzt, den verlässt er nicht.

2. Timotheus 1, 7:

7 Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir haben es gerade gesungen: „Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft und unser Weh und Ach?“ Stimmt: Sorgen ziehen uns hinunter, verstellen den Blick auf mögliche Lösungen, stehen uns im Weg, wenn wir die ersten Schritte aus der Krise heraus zu gehen versuchen.

Wir wissen, dass es stimmt – und trotzdem: so leicht werden wir unser „Weh und Ach“ nicht los. Angst sitzt tiefer als Alles, was wir mit dem Verstand klären können. Angst ist auch oft stärker als unser Glaube.

„Gott, der uns sich hat auserwählt, der weiß auch sehr wohl, was uns fehlt“, hat Georg Neumark, von dem unser Lied stammt, weiter gedichtet. Gott weiß, was uns fehlt – aber glauben wir ihm, dass er es weiß? Und selbst wenn es so ist: hilft uns das weiter?

Georg Neumark hat sein Lied ein „Trostlied“ genannt, hinein geschrieben in eine gesamteuropäische Krise, die schon Millionen von Opfern gefordert hat: wir sind im 21 Jahr des Dreißigjährigen Krieges, und was Menschen in diesem bisher schon alles mitmachen mussten, ist so schrecklich gewesen, dass wir uns bis heute schwer tun, es zu verstehen: sinnloser Abschlachten, noch dazu ursprünglich ausgelöst von einem Streit über Glaubensfragen. Christen gehen auf Christen los, in einer Brutalität sondergleichen. Längst schon ist es kein Glaubenskrieg mehr, so schlimm das allein schon ist. Es geht um Machtpolitik ohne Rücksicht auf die betroffenen Menschen, die in der Folge auch noch unter Hunger und Epidemien zu leiden haben.

So eine humanitäre Katastrophe aus der Geschichte gerade jetzt in Erinnerung zu rufen, mag unangemessen sein. Das, was wir in diesen Tagen erleben, ist in seiner Dramatik weit entfernt von dem, was damals vor 400 Jahren geschehen ist. Ich denke aber, dass es nichts bringt, die Dimensionen der einen Krise gegen die einer anderen auszuspielen. Die Krise, die wir gerade erleben ist, ist unsere Krise. Meine Krise – ich komme damit nicht zurecht, ich mache mir Sorgen, ich fürchte mich.

Krisen miteinander zu vergleichen, bringt nichts. Schon gar nicht Trost. Was aber helfen kann, ist, zu schauen: wie sind andere Menschen mit ihren Erfahrungen von Ohnmacht, Angst, Perspektivenlosigkeit umgegangen. Da kann das Lied eines Menschen aus dem Dreißigjährigen Krieg durchaus als Vorbild dienen. Indem man es vielleicht auch zu Hause noch einmal anschaut und durchliest. Und bestimmte
Sätze in diesem Lied zu seinen eigenen Sätzen macht: „Denn welcher seine Zuversicht / auf Gott setzt, den verlässt er nicht.“

Das ist das Eine: sich auf dem Weg durch Krisen von Menschen begleiten, ermutigen, inspirieren lassen, die diesen Weg schon gegangen sind. Was aber noch mehr helfen kann, ist das, was Paulus in seinem Brief an Timotheus macht. Festzustellen, festzuhalten, was schon da ist – und uns nicht genommen werden kann: … Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Nicht: Gott wird uns diesen Geist geben. Nein: er hat uns diesen Geist schon gegeben. Und darum haben wir ihn jetzt auch.

Der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Ja, wir stehen nicht hilflos da, in Schockstarre, wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange. Nein, wir sind lebendig: wir denken, planen, organisieren, nehmen unsere Verantwortung war. Das ist nicht leicht. Und manchmal, so denke ich, zeigt sich diese Kraft auch im Lachen und im Humor. Ja, selbst in der Krise – und bewusst der Krise entgegengesetzt. Eine jüdische Gemeinde in Wien zum Beispiel zitiert Psalm 24 am Eingang zur Synagoge, um auf die augenblicklich notendigen hygienischen Maßnahmen hinzuweisen: „3 Wer darf hinaufziehen zum Berg des HERRN, wer an seine heilige Stätte treten? 4 Wer reine Hände hat (und ein lauteres Herz, wer nicht auf Nichtiges seinen Sinn richtet und nicht falsch schwört.“ Oder die zahlreichen Witze über das „Hamstern“, besonders über die völlig irrationalen WC-Papier-Großeinkäufe.

Wer sich da nicht mitreißen lässt, hat schon von der Kraft, die Paulus meint. Und noch mehr: Liebe – die den Mitmenschen ins Blickfeld nimmt. Und schon entsteht ein gemeinsames Netzt von Tragen und Getragen-Werden – unendlich wichtig in einer Zeit wie dieser.

Wer aus dieser Kraft und Liebe schöpft, den packt dann auch nicht die Panik. Und hat schon gar nicht das Bedürfnis, Panik zu verbreiten. Falschmeldungen haben in diesen Tagen wieder Hochkonjunktur. Wer sie für bare Münze nimmt, wird zum Opfer, nicht zum vermeintlichen Durchblicker und Aufklärer.

Wie gut, dass wir ihn haben: den Geist der Kraft, der Liebe, und der Besonnenheit! Amen.

Lied: Salvator mundi

Salvator mundi salva nos.
Salvator mundi sava nos.
Salva nos, salva nos.
Salvator mundi salva nos.

(Heiland der Welt, mache uns heil.)

Gebet: Guter Gott!

Danke, dass du da bist –
für uns,
für uns Alle.

Wir danken dir für Menschen,
die in deinem Geist der Kraft,
der Liebe und der Besonnenheit tätig sind,
gerade jetzt, in diesen Tagen.

So bitten wir dich für die Ärzte und Pflegerinnen,
für die Menschen in der medizinischen Forschung,
für Einsatzkräfte und Krisenstäbe,
für Helferinnen und Helfer,
wo immer sie gebraucht werden.

Wir bitten dich für Eltern und Kinder,
für Betreuende und Betreute,
für Kranke und Alte, die besonders gefährdet sind,
und für die, die von ihrer Angst getrieben werden.

Wir bitten dich für die Verantwortungslosen und Egoistischen,
die Zynischen und Profitgierigen,
die ihren eigenen Vorteil in der Krise suchen,
oder politisches Kleingeld mit ihr machen wollen.

Wir bitten dich für Verantwortungsträger und Politiker,
für die, die abwägen und entscheiden müssen,
für alle, die das Gefühl haben,
ihre Aufgabe wächst ihnen über den Kopf.

Wir bitten dich für uns alle,
um deinen Geist,
schon ganz da
und doch immer wieder neu entdeckt und geschenkt.

Und gemeinsam beten wir:

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden.
Amen.

Orgelnachspiel