Foto: Nicole Dolezal

 

 

 

Andacht der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 10. Jänner 2021
von Pfr. Johannes Wittich


Präludium: IIsabella Kobera: Dieterich Buxtehude, Präludium in C-Dur
Spruch: Römer 8, 14:

Denn die vom Geist Gottes getrieben werden, das sind Söhne und Töchter Gottes.

Begrüßung:

Immer noch am Beginn des neuen Jahres stehend holen wir tief Luft für das Neue, das vor uns steht. Wir werden einen langen Atem brauchen – danach sieht es aus. Nicht nur das: wir werden Gottes Hilfe brauchen, seinen Geist. Um diesen bitten wir, wenn wir Gottesdienst feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Psalm: 105,1-8

1 Preist den Herrn, ruft seinen Namen an,
tut kund seine Taten unter den Völkern.
2 Singt ihm, spielt ihm,
redet von all seinen Wundern.
3 Rühmt euch seines heiligen Namens;
das Herz derer, die den Herrn suchen, freue sich.
4 Fragt nach dem Herrn und seiner Macht,
sucht sein Angesicht allezeit.
5 Gedenkt seiner Wunder, die er getan hat,
seiner Zeichen und der Sprüche seines Mundes,
6 ihr Nachkommen Abrahams, seines Dieners,
ihr Söhne Jakobs, seines Erwählten.
7 Der Herr ist unser Gott,
über die ganze Erde hin gilt sein Urteil.
8 Ewig gedenkt er seines Bundes,
auf tausend Generationen des Wortes, das er geboten hat.

Gebet:

Du, unser Gott,
wir haben von der Gnade gehört,
von Licht in der Finsternis,
von Frieden auf Erden –
doch unsere Gedanken gehen oft in eine andere Richtung.
Dem Frieden trauen wir nicht,
und schenken lassen wir uns schon gar nichts.
Dabei wollen wir doch immer mehr:
Wir essen und werden nicht satt,
wir trinken und der Durst brennt weiter –
in uns, in unserer Seele.
Jetzt sind wir hier.
Wir hoffen auf dich,
auf deine Gnade und bitten dich um dein Erbarmen.
An jedem neuen Tag auf deine Gnade hoffen
und auf deine Begleitung bauen,
das gibt Richtung und Zuversicht.
Du, unser Gott,
willst uns Weg, Ziel und Richtung sein.
Du weißt, was wir zum Leben brauchen
und willst es uns schenken.
Wir bitten dich: mache uns bereit anzunehmen,
was du für uns bereithältst.
Lehre uns unterscheiden,
was uns guttut und was nicht.
Auf deines Geistes Gaben lass uns hoffen,
warten und immer wieder neu vertrauen.
Amen.

(nach Cristina Blázquez)

Lied: Evangelisches Gesangbuch 64, 1-3: der du die Zeit in Händen hast

1) Der du die Zeit in Händen hast,
Herr, nimm auch dieses Jahres Last
und wandle sie in Segen.
Nun von dir selbst in Jesus Christ
die Mitte fest gewiesen ist,
führ uns dem Ziel entgegen.

2) Da alles, was der Mensch beginnt,
vor seinen Augen noch zerrinnt,
sei du selbst der Vollender.
Die Jahre, die du uns geschenkt,
wenn deine Güte uns nicht lenkt,
veralten wie Gewänder.

3) Wer ist hier, der vor dir besteht?
Der Mensch, sein Tag, sein Werk vergeht:
nur du allein wirst bleiben.
Nur Gottes Jahr währt für und für,
drum kehre jeden Tag zu dir,
weil wir im Winde treiben.

Predigttext: Mt. 3, 13-17

13 Zu jener Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen.
14 Johannes aber wollte ihn davon abhalten und sagte: Ich hätte es nötig, von dir getauft zu werden, und du kommst zu mir?
15 Jesus entgegnete ihm: Lass es jetzt zu! Denn so gehört es sich; so sollen wir alles tun, was die Gerechtigkeit verlangt. Da liess er ihn gewähren.
16 Nachdem Jesus getauft worden war, stieg er sogleich aus dem Wasser. Und siehe da: Der Himmel tat sich auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube niedersteigen und auf ihn herabkommen.
17 Und siehe da: Eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!

Man kennt sie, die „schwarzen Schafe“ in einer Familie, die aus der Reihe tanzen, ihren eigenen Weg gehen, zum Missfallen der anderen Familienmitglieder, der ganzen großen Familie. Was sie tun und sagen fällt auf alle Familienmitglieder zurück, auf ihren Ruf, färbt sozusagen ab, kann zur Belastung werden. Mein Vater, ebenfalls Pfarrer wie ich, hat einmal erzählt, wie er auf einem internationalen ökumenischen Treffen eine reformierte Christin aus Japan kennen gelernt hat. Sie hatte zu berichten, dass ihre gutbürgerliche und gesellschaftlich anerkannte Familie damit zu kämpfen hätte, dass sich ihre Kusine Yoko mit einem Herrn Lennon, so einen Musiker aus Liverpool, herumtreibt und man sich sehr bemühen würde, ihr diese Idee wieder auszutreiben. Schließlich ginge es ja darum, den guten Ruf der Familie wahren.

Das dürfte der Familie Ono wohl nicht ganz gelungen sein. Ähnlich stelle ich mir die Situation in der Großfamilie von Johannes und Jesus vor. Die Mütter der beiden waren ja Kusinen. Zuerst fängt es mit Johannes an: er zieht sich in die Wüste zurück, lebt dort asketisch, ändert sein Leben, und kehrt mit einer radikalen Botschaft von Umkehr zurück. Er greift die Mächtigen an, kritisiert ihre Skrupellosigkeit und Gier, dann nimmt er sich die religiöse Elite vor, entlarvt ihre Scheinheiligkeit. Soweit war das so genannte einfache Volk wohl sicher noch begeistert. Aber dann nimmt sich Johannes aus seine Mitbürger vor, kritisiert ihr Verhalten, ihre falsche Gewissheit, als Angehörige des Volkes Gottes etwas Besseres zu sein
.
Johannes provoziert, irritiert, eckt an, hat aber auch etwas anzubieten. Er ist davon überzeugt: Gott will „Umkehr“, Umdenken, ein neues Verhalten. Es ist dafür noch nicht zu spät. Und interessanterweise kommt diese Botschaft an; offensichtlich haben schon andere gemerkt: so, wie es bei uns läuft, kann es nicht weitergehen. Es braucht ein neues Denken und Handeln. Im Sinne dessen, was Gott von uns will.

So fragen die, die von dieser Botschaft berührt werden: was sollen wir tun? Was können wir tun? Johannes meint darauf zu ihnen: ein Neuanfang ist nötig. Umkehr heißt, alte, eingefahrene, bequeme aber dadurch auch lieblose Wege zu verlassen. Wer das will, kann das tun. Er oder sie kann mit Gottes Unterstützung rechnen. Und als Zeichen, dass es einem wirklich ernst ist, kann man sich taufen lassen: ein symbolisches Reinigungsbad im Jordan. Danach geht es ganz neu weiter.

Wie gesagt: ich nehme einmal an, dass man in Johannes‘ Familie wohl nicht sehr begeistert war über seine Berufswahl. Vielleicht hatte man sich gerade damit abgefunden, als ein neues Problem auftaucht: Jesus beschließt, sich den Anhängern, den „Fans“ von Johannes anzuschließen. Na, mehr hat’s wohl nicht gebraucht!

Matthäus berichtet uns, dass Jesus zu Johannes an den Jordan kommt. Bisher ist Jesus ja weitgehend brav und unauffällig gewesen. Jetzt steht er plötzlich auch da, unter den Zuhörerinnen und Zuhörern von Johannes, hängt ihm an den Lippen, ist begeistert von seiner radikalen Botschaft. Und wie viele andere möchte er auch den radikalen Neuanfang vollziehen; möchte sich auch taufen lassen.

Johannes der charismatische Prediger, Jesus der begeisterte Zuhörer – und plötzlich werden die Rollen vertauscht: Johannes weiß, dass er seinem Cousin nicht das Wasser reichen, oder, wie er selbst formuliert, die Schuhe binden kann. Er hat schon lange erkannt, was wir heute die „Botschaft von Weihnachten“ nennen: dieser Jesus ist der Gesandte Gottes, der Erlöser. Wenn er einmal beginnt, zu den Menschen zu reden, dann braucht es einen Johannes nicht mehr. Dann ist der da, auf den die Menschen wirklich gewartet haben.

Der sich dann aber auch nicht in den Vordergrund spielt. Auch Jesus will getauft werden. Und wieder tritt das zu Tage, was wir die „Botschaft von Weihnachten“ nennen: der Erlöser Gottes besteht nicht auf seiner besonderen Stellung. Er reiht sich sozusagen in die Schlange der Taufwilligen ein. Weil eben Gott ganz bei den Menschen, ganz Mensch ist.

Matthäus berichtet, dass im Augenblick der Taufe der Himmel aufgeht und die Stimme Gottes zu hören ist. Ein schönes Bild. Im Augenblick, in dem der Sohn Gottes ganz Mensch ist, auch das Symbol der Umkehr und des Neuanfangs über sich ergehen lässt, ist er ganz unten bei den Menschen. Und gleichzeitig ganz besonders dem Himmel nahe – dem Himmel unter uns.

Sicherlich haben Augenzeugen dieses Moments auch der Familie von Jesus und Johannes davon erzählt. Ich hoffe, dass sie dadurch ihre „schwarzen Schafe“ ein bisschen besser zu verstehen gelernt haben.

„Umkehr“ heißt eben auch, bisherige Erwartungen hinter sich zu lassen. Dazu ermutigt uns die Geschichte – und dazu ermutigt uns Gott.

Amen.

Gebet:

Liebender Vater,
im Vertrauen auf deine Güte
wenden wir uns mit unseren Bitten an dich.
Wie Kinder, die nicht mehr weiterwissen,
obwohl sie so lange dachten, sie seien schon groß.
Wir sehen die Probleme deiner Schöpfung, die wir verursacht haben.
Viel zu groß, als dass wir sie alleine noch lösen könnten.
Wir hören die Stimmen all der Menschen, die leiden in der Welt.
Viel zu viele, als dass wir wüssten, wo wir beginnen.
Wir spüren die Mutlosigkeit, die um sich greift.
Viel zu lähmend, als dass wir sie verscheuchen könnten.
Wir verschließen die Sinne und hoffen, irgendwie wird das schon.
Wir bitten dich, Vater, schenke uns deinen Heiligen Geist,
der uns mit seinen Gaben beflügelt,
der uns umkehren lässt und handlungsfähig macht,
der uns hilft, Entscheidungen zu treffen und Menschen zu begeistern.
Den Geist, der uns zusammenbringt,
als deine Kinder.
Amen.

(Susanne Gutmann/Elke Schnabel)

Unser Vater  …

Abkündigungen:
Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Postludium: Isabella Kobera: Linzer Orgeltabulatur (1611-1613), Cupido