Gottesdienst aus der Martin-Luther-Kirche Hainburg,
26. Februar 2023 (Sonntag Invokavit)
mit Pfr. Johannes Wittich
Orgelvorspiel:Lied: Evangelisches Gesangbuch 444, 1-3: Die güldene Sonne bringt Leben und Wonne1) Die güldene Sonne 2) Nun sollen wir loben 3) Kommt, lasset uns singen, Biblisches Votum:Ruft er zu mir, erhöre ich ihn, ich bin bei ihm in der Not, ich befreie ihn Begrüßung:Gott hört uns, wenn wir zu ihm rufen, und das hat eine Auswirkung auf unser Leben: Lasten werden uns genommen, wir werden wieder frei, können Aufatmen und Durchatmen. Darum kommen wir zusammen, in einem Gottesdienst lassen uns beschenken, von Gott, in einer Gemeinschaft, die heute eine besondere ist: ich bin als der reformierte (H.B.) Ortspfarrer bei Ihnen zu Gast, zusammen mit einigen Mitgliedern der evangelischen Pfarrgemeinde H.B. Wien-Süd. „Ortspfarrer“ deshalb, weil tatsächlich auch die Reformieren in Hainburg und Umgebung zu unserer Gemeinde gehören. Psalm: Psalm 104 (EG 743)Gebet:Barmherziger Gott, (nach Detlef Albrecht) Lesung: Mt. 4, 1-111Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. 2Vierzig Tage und vierzig Nächte fastete er, danach hungerte ihn. 3Da trat der Versucher an ihn heran und sagte zu ihm: Wenn du Gottes Sohn bist, dann sag diesen Steinen da, sie sollen zu Brot werden. Predigtlied: 643, 1-3: Wo ein Mensch Vertrauen gibtPredigttext: Jesaja 58, 3-8:3Warum haben wir gefastet, und du hast es nicht gesehen, Seht, an eurem Fastentag geht ihr anderen Dingen nach, Liebe Gemeinde! Der heutige Sonntag trägt in der alten kirchlichen Festordnung den Namen „Invokavit“. Dieses lateinische Wort bezieht sich auf den Psalmvers zu Beginn unseres Gottesdienstes: „Invocavit“, zu deutsch: Wenn er zu mir ruft. Wenn er zu mir ruft, dann erhöre ich ihn – die große Zusage Gottes an uns alle. Aber was erzähle ich Ihnen das? Bestimmt wissen sie das eh. Die kirchliche Festordnung oder auch Messordnung stammt aus der Zeit lange vor der Reformation. Die katholische Kirche hält sich bis heute daran, und die lutherische Kirche hat sie übernommen, nur die reformierte Kirche, ja, die kennt diese Einteilung des Kirchenjahres nicht. Aber auch wenn wir Reformierten heute nicht einen Sonntag mit dem Namen und Thema „Invokavit“ feiern, er hat trotzdem eine Bedeutung, und zwar eine verbindende Bedeutung für uns als Lutherische oder Reformierte, als Evangelische A.B. oder Evangelische H.B.: der Invokavit-Tag des Jahres 1522 war für beide unsere Reformatoren, für Martin Luther wie auch für Ulrich Zwingli, ein Wendepunkt. Martin Luther hat da mit einer Predigtreihe in Wittenberg begonnen, die man später als „Invokavit-Predigten“ bezeichnen wird. Predigten gegen die Radikalisierung der Reformationsbewegung, die während seiner Abwesenheit auf der Wartburg sich zu entwickeln begonnen hat, also ein klares Statement: Reformation: ja, Revolution: nein. Und in Zürich hat am Invokavit-Tag 1522 ein Wurstessen im Haus des Druckers Christoph Froschauer stattgefunden, eine bewusste Provokation gegen die Regeln der Fastenzeit. Die Anzeige gegen die, die daran teilgenommen haben, veranlasst Ulrich Zwingli, eine theologische Verteidigungsschrift zu verfassen. Zum ersten Mal wird in Zürich im mit Fokus auf die Bibel, und zwar allein auf die Bibel argumentiert. Damit beginnt dort die Reformation. Zwei wichtige, einschneidende Ereignisse. Beide am genau selben Tag. Und das, bevor es Telefon, eMail oder gar Social Media gegeben hat … Der Tag ist in beiden Fällen bewusst gewählt. Invokavit ist der erste Sonntag nach dem Aschermittwoch, der erste Sonntag der Passionszeit, oder, bis heute in der katholischen Kirche: der Fastenzeit. Eine Zeit des Runterfahrens, des Nachdenkens, der Selbstreflexion, der Buße: also genau der richtige Zeitpunkt für Martin Luther, denen, die seine Ideen missbraucht haben und zu weit gegangen sind, die Leviten zu lesen, sie zur Mäßigung aufzurufen. In Zürich, zur selben Zeit, ist das „Setting“ ein wenig anders: hier geht es darum, diese Zeit des bewussten Verzichts kritisch zu betrachten. Weil der ursprüngliche Sinn und die eigentliche Bedeutung des Fastens in der Kirche des Mittelalters verloren gegangen war: es war nicht mehr Selbstverzicht, um sich mal wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es war von oben verordnete Einschränkung, streng kontrolliert und gemaßregelt, wenn sich mal wer nicht daran halten wollte. Und: wer das nötige Geld hatte, konnte sich von der Verpflichtung zum Fasten freikaufen, was von den „Oberen“ in Kirche und Politik gerne in Anspruch genommen wurde. Weil eine bewusste Provokation gegen (ein so verstandenes) Fastengebot sozusagen an der Wiege unserer reformierten Kirche gestanden hat, könnte man annehmen, dass wir auch bis heute nichts mit dem Thema anfangen können. Dem ist nicht so. Zum einen gibt es auch heute viele gute Initiativen, die die Grundidee, die hinter dem Fasten steht, in unsere Zeit übertragen: bewusster Verzicht, um über sich selbst nachzudenken, aber auch über das, was wir mit unserem verschwenderischen Lebenswandel anderen Menschen und der Natur antun. So gibt es die Aktion „7 Wochen ohne“ der (unierten) Evangelischen Kirche in Deutschland, wo es nicht nur darum geht, einmal auf das eine oder andere zu verzichten, wie Alkohol oder Süßigkeiten, sondern besonders darum, diese Wochen der Vorbereitung auf Karfreitag und Ostern bewusst zu begehen, mit täglichen Impulsen und Gedanken. Verzicht, ja, aber Verzicht auf Ablenkung vom Wesentlichen. Oder die Aktion Autofasten, bewusster Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad. In meiner Kindheit gab es auch noch den Familienfasttag der Aktion Brot für Hungernde, der für meine Eltern jedes Jahr einen festen Platz im Kalender gehabt hat Da haben wir alle, Kinder wie Erwachsene, einmal zum Mittagessen nur eine Suppe bekommen. Das dadurch ersparte Geld ging dann an ein Projekt der Evangelischen Frauenarbeit. Familienfasttag – Tradition bei uns, einer durch und durch reformierten Familie. Und nicht zuletzt war auch Ulrich Zwingli klar: selbst Jesus hat gefastet, wie im Evangelium zu hören war, in der Wüste, vierzig Tage und Nächte lang. So lange, bis ihm niemand Geringerer als der Teufel entgegentritt. Und versucht, seine Grenzen auszuloten, wie weit Jesus bereit ist, gegen seine eigenen Prinzipien zu verstoßen, für den schnellen, oberflächlichen Vorteil und Gewinn. Nach vierzig Tagen und Nächten Verzicht, Nachdenken, wohl auch Beten, wird uns berichtet, weiß Jesus dann, wohin es für ihn gehen wird, welchen Auftrag er hat und vor allem, wo und wie seine besonderen Fähigkeiten einzusetzen sein werden. Das kann ihm dann nicht einmal mehr der Teufel selbst ausreden. Aus dem Verzicht, aus dem Reduzieren der Bedürfnisse entsteht Erkenntnis. Selbsterkenntnis … Vor Kurzem hat sich bei uns im 10. Bezirk, wo unsere Kirche steht, wieder einmal eine interreligiöse Dialogrunde von evangelischen (A.B. und H.B.), katholischen und muslimischen Menschen getroffen. Das geschieht ungefähr einmal im Monat und ist in unserem „Grätzl“, wie das in Wien so schön heißt, fest etabliert. Konkret ging es da um die Suche Themen, die wir uns vielleicht für die nächste Zeit zum Besprechen und Diskutieren vornehmen könnten, zum. Und da habe ich den Vorschlag gemacht, wir könnten einmal über das Fasten reden. Schließlich komme ich ja aus einer Kirche, die aus der Kritik am Fasten heraus entstanden ist. Das hat bei unseren muslimischen Nachbarn zunächst einmal für Irritationen geführt, und ich hatte, wie das so schön heißt, „Erklärungsbedarf“. Ich habe dann im Prinzip das gesagt, was heute schon in der Predigt vorgekommen ist: dass einerseits die Ablehnung des Fastens bei Zwingli eine Ablehnung des Missbrauchs des Fasten ist. Und dass selbst in meiner reformierten Familientradition mit dem Suppentag gefastet wurde, aber eben freiwillig, dann, wann es für einen passt und richtig ist und vor allem: so, dass auch andere etwas davon haben. Ein Fastenverständnis, dass seinen Ursprung im Prophetenbuch Jesaja hat. Denn was sagt da Gott durch den Mund des Propheten: 6Ist nicht dies ein Fasten, wie ich es will: Der Prophet spricht über Gottes Meinung und Haltung zum Fasten, provoziert durch eine kritische Rückfragen von fastenden Menschen: da geben wir uns so eine Mühe, richtig und anständig zu fasten, aber du, Gott siehst es gar nicht! Wir können nicht erkennen, dass du das in irgendeiner Weise anerkennst! Die Antwort Gottes darauf: ich sehe sehr wohl, was ihr tut. Nur: ihr macht es falsch. Wie ihr fastet, das bringt nichts. Ihr fastet für euch, in eurer kleinen spirituellen Welt, hofft auf einen Mehrwert und Vorteil für euch selbst, wollt, dass ihr euch durch Fasten besser fühlt und näher bei Gott. Und macht so ziemlich alles falsch: Fasten muss Auswirkungen über euren jeweiligen kleinen privaten Bereich hinaus haben. Fasten ist nicht nur innere Einkehr, so gut und wichtig das auch immer wieder einmal ist. Fasten geschieht auch ohne dass man einmal weniger oder gar nichts isst. Fasten ist Verzicht, aber Verzicht auf das, was ich als mein Recht und mein Eigentum ansehe, in Wirklichkeit aber Geschenk Gottes ist. Geschenk Gottes mit Auftrag und Verantwortung. Auf das zu verzichten, was ich habe, was mir zusteht, heißt andere davon profitieren lassen. Meine Freiheit, meine Ressourcen, meine Möglichkeiten sind dazu da, damit andere wieder frei werden, bekommen, was sie brauchen, ihr Leben wieder selbstbestimmt in die Hand nehmen können. Indem wir etwas gegen Ungerechtigkeit und Benachteiligung tun, hier bei uns und über Andere auch an Orten der weiten Welt, „fasten“ wir so, wie Gott es will. Wir geben etwas her, an Zeit, an materiellen Gütern, an Gedanken und Gebeten – so schaut biblisches Fasten aus. Und das alles mit Freude! Den wir sagt Gott durch Jesaja? 5Soll das ein Fasten sein, wie ich es will: Verzicht macht frei, Verzicht macht Freude, Teilen kann man auch genießen, und sich verbunden fühlen mit Menschen, denen ich etwas geben kann, das macht Freude. Teilen ist keine Pflicht, kein Zwang. Es ist Auftrag und Verantwortung. Macht Freude und schenkt Freude. So sieht echtes „Fasten“ aus. Amen. Lied: Evangelisches Gesangbuch 268, 1-5: Strahlen brechen vieleFürbittegebet:Barmherziger Gott, Wir nennen Dir die Menschen, Wir nennen Dir die Menschen, Wir nennen Dir die Menschen, Guter Gott, stärke uns. (Detlef Albrecht) Und gemeinsam beten wir … Unser Vater … Lied: Evangelisches Gesangbuch 300, 1-2: Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit1) Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit, 2) Hebt eure Hände auf und geht Abkündigungen:Segen:Der Herr segne dich und behüte dich, Schlusslied: Evangelisches Gesangbuch 300, 3: Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit3) Gott heilge dich in seinem Haus Orgelnachspiel |