Foto: Ulrike Wittich

 

 

 

Gottesdienst aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 11. Juli 2021
mit Pfr. Johannes Wittich und
Diakonischem Referenten Sascha Skwortz


 

Klavier – Instrumentalvorspiel: Martin Pauliny: Improvisation
Lied: Martin A. SeidlEvangelisches Gesangbuch 617, 1.4: Wie der Hirsch nach frischer Quelle

1) Wie der Hirsch nach frischer Quelle
schreit mit lechzender Begier,
also schreit auch meine Seele
voll Verlangen, Gott, nach dir.
Nur nach dir, lebend’ger Gott,
dürstet sie in ihrer Not.
Ach, wann wird es doch geschehen,
dass ich kann dein Antlitz sehen?

4) Wenn ich merk auf Gottes Güte,
die er jeden Tag mir zeigt,
so erhebt sich mein Gemüte,
wie die Last es auch gebeugt.
Oft lobpreis ich in der Nacht
seine Liebe, seine Macht,
und ich bete nicht vergebens
zu dem Gotte meines Lebens
.

Spruch: Jak. 3,17:

Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Begrüßung:

Herzlich willkommen zum Gottesdienst, den ich heute gemeinsam mit unserem diakonischen Referenten Sascha Skwortz gestalten darf.

Wenn wir beten, passiert etwas, entfaltet sich eine Wirkung, werden wir ruhiger oder motivierter, bekommen wir Hoffnung, lassen uns stärken oder werden mit neuen Einsichten und Erkenntnissen beschenkt. Beten kann so vielfältig sein – über diese Vielfalt wollen heute im Gottesdienst nachdenken. Beten ist aber immer eines: ein Moment, in dem wir die sein dürfen, die wir sind, ganz bei Gott und Gott ganz bei uns.

So beten, singen und feiern wir gemeinsam, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Freies Gebet:
Lesung: Jakobus 13-18

13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. 17 Elia war ein schwacher Mensch wie wir; und er betete ein Gebet, dass es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. 18 Und er betete abermals, und der Himmel gab den Regen, und die Erde brachte ihre Frucht.

Lied: Martin A. SeidlEvangelisches Gesangbuch 324, 1.10.11.13: Ich singe dir mit Herz und Mund

1) Ich singe dir mit Herz und Mund,
Herr, meines Herzens Lust;
ich sing und mach auf Erden kund,
was mir von dir bewusst
.

10) Wenn unser Herze seufzt und schreit,
wirst du gar leicht erweicht
und gibst uns, was uns hoch erfreut
und dir zur Ehr gereicht
.

11) Du zählst, wie oft ein Christe wein
und was sein Kummer sei;
kein Zähr- und Tränlein ist so klein,
du hebst und legst es bei
.

13) Wohlauf, mein Herze, sing und spring
und habe guten Mut!
Dein Gott, der Ursprung aller Ding,
ist selbst und bleibt dein Gut
.

Psalm 77, 2-5:

2 Laut will ich schreien zu Gott,
laut zu Gott, dass er auf mich höre.
3 Am Tag meiner Not suche ich den Herrn,
meine Hand ist ausgestreckt des Nachts und ermattet nicht,
meine Seele will sich nicht trösten lassen.
4 Ich denke an Gott und seufze,
ich sinne nach, und mein Geist will verzagen. Sela
5 Du hältst meine Augen wach,
ich bin voller Unruhe und kann nicht reden.

Predigtteil 1 (Johannes Wittich):

Liebe Schwestern und Brüder!

Danke, Sascha, dass du heute in unserem Gottesdienst das Eingangsgebet übernommen hast. Frage an die Gemeinde: Hat er es anders gemacht, als wir es sonst gewohnt sind?

Nun ist Beten eine zutiefst persönliche Sache. Die Worte, die wir wählen, die Bilder, die wir verwenden, um unser Anliegen Gott mitzuteilen, aber auch die vorgegebenen Formulierungen, die wir übernehmen, sie könnten nicht verschiedener sein. Und auch was den Inhalt betrifft, gibt es eine große Bandbreite. Zwei biblische Beispiele dafür haben wir gerade gehört: das Gebet um Heilung, nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere, wie es der Jakobusbrief beschreibt. Das Gebet als fröhliches Singen über die Güte Gottes, auch im Jakobusbrief angesprochen. Oder, wie im Psalm 77, das verzweifelte Klagen, das Schreien und Seufzen, an Gott gerichtet, weil ich einfach nicht mehr weiterweiß.

Die Formen des Gebetes können also unterschiedlich sein, und auch dessen Inhalt. Wir beten ja nicht einfach so frei heraus, wir kommen aus verschiedenen Traditionen, wir beten so, wie wir es gewohnt sind oder wie es sich für uns bewährt hat. Nun bist du Sascha, wie wir alle wissen, erst seit einigen Wochen reformiert. Du bist aus einer Pfingstkirche zu uns gekommen. Und dort gibt es auch andere Gebetstraditionen als die, die wir kennen. Ein bisschen haben wir das schon bei deinem Gebet gerade gemerkt. Aber erzähl uns mal einfach mehr davon …

Predigtteil 2 (Sascha Skwortz):

Auch von meiner Seite Guten Morgen allen, die diesen Gottesdienst gemeinsam mit uns feiern. Ich weiß nicht, wie oft ich in letzter Zeit gesagt habe, dass ich einen Paradigmenwechsel erlebt habe. Ich mag dieses Wort irgendwie. In diesem einen Wort steckt für mich persönlich so viel drin. Mein ganzes Leben fing an, eine komplett andere Richtung einzuschlagen. Das Gebet spielte und spielt immer noch eine zentrale Rolle bei allem. Ich habe in meinem Leben schon recht viele verschiedene Formen von Gebet kennengelernt. Besonders geprägt hat mich die Pfingstbewegung. Noch vor dem Teenageralter war ich auf Freizeiten, auf denen intensiv charismatisch gebetet wurde. Vom einfachen Gebet um Vergebung meiner Schuld bis zu einer Art Verzückung die mit Zucken und Schütteln am ganzen Körper sichtbar wird. Später war ich auch eine Zeit lang mit Christen unterwegs, die brüdergemeindlich geprägt waren und sämtliche pfingstlerische Praktiken verteufelten. Schon damals mit Anfang 20 habe ich intensiv die Bibel gelesen, um mir selbst eine Meinung zu bilden über die so genannten Geistesgaben. Und so kam es, dass ich anfing, in Sprachen zu beten und prophetische Eindrücke und Bilder in meinen Gebeten von Gott zu empfangen, trotz Warnungen meiner Mitchristen, vor dämonischen Einwirkungen. Aber meiner Bibel zufolge Bestand überhaupt kein Grund für so eine Gefahr – im Gegenteil. Man kann sich das vorstellen, wie eine persönliche Geheimsprache, die nur von mir und Gott verstanden wird. Bis heute setze ich diese ein, wenn ich mit Worten nicht mehr weiterweiß oder Gott intensiv loben möchte. Und auch bis heute empfange ich hin und wieder noch Bilder oder Eindrücke im Gebet für mich oder andere, die Mut machen und heilsame Wirkung haben können. Von meiner Pfingstgemeinde in der Schweiz habe ich gelernt, dass Gebet viele Formen annehmen kann. Beten ist nicht immer mit gefalteten Händen und dem Kopf nach unten. Man kann es mit vielen Köperhaltungen und Positionen machen. Man kann singen, summen, schreien, weinen oder lachen. Gott steht dabei im Zentrum. Schon lange denke ich immer wieder gerne an den alten Spruch: Danken schütz vor Wanken. Loben zieht nach oben.

Lied: Martin A. Seidl: Tuya es la gloria
Predigtteil 3 (Johannes Wittich):

Beten in „Sprachen“, nicht solchen, die es gibt, sondern in neuen, die im Beten entstehen. Prophetische Bilder, die in einem im Beten kommen. Für reformierte Ohren klingt das zunächst einmal ein wenig fremd. Du, Sascha, hast von der so genannten „Pfingstbewegung“ gesprochen, die deinen Glauben geprägt hat. Diese gibt es seit Beginn des 20. Jahrhunderts, ausgehend von den USA, inzwischen weltweit verbreitet. Ihre Idee war: das, was am ersten Pfingstfest, in der ersten christlichen Gemeinde geschehen ist, also die Begeisterung, ja Ekstase, die die ersten Jünger erfasst hat, dann das Sprechen in fremden Sprachen und das Verstehen derselben – das sollte doch heute auch möglich sein. Wo doch u.a. auch der Apostel Paulus (z.B. 1. Kor. 12, 8-11) ganz selbstverständlich über solche Phänomene spricht, die der Geist Gottes bewirkt: vom „Reden in Zungen“ im Beten und Verkündigen, von der geistgeschenkten Gabe, dieses Reden zu verstehen und anderen zu „übersetzen“, von der Gabe durch Gebet zu heilen und Wunder zu tun.

Nun wissen wir heute leider nicht mehr, wie diese Phänomene sich ganz konkret in den ersten christlichen Gemeinden manifestiert haben. Wir können es nur vermuten. Daher taucht auch immer wieder die Frage auf – Sascha hat es ja angesprochen: sind diese „geistgewirkten“ Formen von Gebet, Verkündigung und Heilung tatsächlich vom Heiligen Geist gewirkt? Oder haben sie vielleicht doch nur ganz irdische Ursachen, einfach im Drang von uns Menschen, auch einmal aus uns herauszutreten, wie es auch auf Rockkonzerten oder Fußballspielen geschieht? Und sind dann nicht die exzessiven Ausformungen sogar gefährlich – Sascha hat das „dämonisch“ genannt. Führen sie also möglicher Weise zu psychischen Erkrankungen oder sind Ausdruck davon?

Wie gesagt: nachdem wir nicht genau wissen, wie es die ersten Christen, also auch Paulus, gehandhabt haben, müssen wir mit unseren Urteilen vorsichtig sein. Was wir sagen können ist aber sicher: Gebete dürfen auch einmal laut und voller Be-Geisterung sein, wenn es passt. Gebete können heilend wirken. Und: im Beten können Gedanken, Bilder und Einsichten entstehen, die mir einen neuen Horizont eröffnen. Und starke Emotionen. Unser Gospelchor-Hit „Tuya es la gloria“, ein gesungenes Gebet, ist eines von vielen Beispielen dafür.

Eine „Gabe des Geistes“, die bei Paulus auch vorkommt, ist mir aus unserer reformierten Sicht daher ganz besonders wichtig: die Gabe, die „Geister zu unterscheiden“. Der Heilige Geist macht auch fähig, erkennen zu können, wo der Geist Gottes ganz sicher nicht drinsteckt. Also auch einmal sagen zu können: sorry, bei aller Liebe, aber was du da jetzt machst, ist nicht vom Geist gewirkt, sondern einfach nur Unsinn. Auch im „Nein“ zum Missbrauch des Heiligen Geistes kann sich der Geist Gottes zu Wort melden. Aber auch da müssen wir vorsichtig sein: denn auch nicht jede Kritik muss vom Heiligen Geist bewirkt sein.

Der Geist Gottes weht halt, wo er will – und unser Erkennen, wie und wo er gerade wirkt, hat eben auch seine Grenzen.

Predigtteil 4 (Sascha Skwortz):

Trotz meiner charismatischen Züge in meinem Gebetsleben, habe ich immer wieder sehr viel um Vergebung gebetet, weil ich glaubte, je mehr Sündenerkenntnis, desto reifer der Christ. Deshalb sind mir der Gebetskampf und die Busse wohl vertraut. Was mich diese Zeit vor allem gelernt hat, ist das persönliche Gespräch mit Gott. Ich habe gelernt, meinem Vater im Himmel immer und immer wieder mein Herz auszuschütten. Und er wird nicht müde davon, sondern freut sich und stärkt mich mit neuer Kraft. In Frankfurt hatte ich mal eine Phase, in der ich das kontemplative Gebet ausprobiert habe. Man überlegt sich einen bestimmten Satz oder nur ein Wort, das man in regelmäßigen Abständen betet. Sonst sagt man nichts, man schweigt einfach und spürt den Moment und hört, ob Gott etwas sagt. Das habe ich aber nach wenigen Wochen wieder verworfen, weil mir klar wurde, wie wichtig es mir ist, Gott mein Herz auszuschütten und ihm alles zu erzählen, was mich bewegt. Die Pfingstbewegung hat mich maßgeblich geprägt. Gleichzeitig war ich immer schon ein Verfechter des einfachen, stillen Gebets, weil ich davon überzeugt bin, dass Gott sich besonders in der Stille offenbart, so wie beim sanften leisen Säuseln, in dem er dem Propheten Elia im AT begegnet ist. Gott hört sowieso auf jedes Gebet, aber ich glaube oft besonders auf die ganz Leisen und Demütigen. Und gerade die Musik kann eine wunderbare Unterstützung dabei sein, innerlich ganz still zu werden, und mich nach meinem Gott auszustrecken, die Verbindung zu ihm wieder aufzunehmen, nachdem sie vielleicht eine Zeit lang unterbrochen war oder einfach untergangen ist in all dem bunten Treiben meines Alltags. Deshalb möchte ich euch jetzt einladen, auf die ruhigen Klaviertöne zu hören und einmal selbst ganz still zu werden – still vor deinem Gott!

Kontemplative Musik: Martin PaulinyImprovisation

Mit freundlicher Genehmigung von Martin Pauliny.

Fürbittengebet:

Gott, du hörst uns und verstehst uns,
wenn wir zu dir beten
und dir anvertrauen, was uns beschäftigt.

So beten wir für alle,
die sich ungeliebt fühlen und allein.
Schenke ihnen die Erfahrung,
dass sie als Getaufte zu deiner großen Gemeinschaft gehören
und dass du es bist, der sie nie alleinlässt.

Wir beten für alle Starken und Selbstbewussten,
die meinen, sie wüssten schon, was für sie und andere richtig ist.
Gib ihnen die Erfahrung, dass du ihnen Stärke schenkst
und dass das Vertrauen auf dich
nicht fesselt, sondern frei macht.

Wir beten für alle,
die Macht haben über andere Menschen:
Lass sie sich immer wieder daran erinnern,
dass ihre Macht nur geliehen und von dir verliehen ist.

Wir beten für die Kranken und Schwachen,
für die Trauernden und Sterbenden:
Dass sie darauf vertrauen können,
dass du für immer zu deinen Versprechen stehst
und deine Macht stärker ist als alles.

Wir beten für die Mutlosen
und die, deren Leistung nicht ausreicht,
in den Augen der anderen oder nach ihrem eigenen Urteil:
Lass sie erfahren,
dass du das entscheidende „Ja“ zu ihrem Leben schon gesprochen hast
und deine Liebe von keiner Leistung abhängt.

Von dir, Gott, leben wir,
zu dir hin orientieren wir uns.
Lass uns dies immer wieder gewiss werden
und schenke uns die Kraft, Boten deiner Liebe zu sein.
Und gemeinsam beten wir …

Unser Vater  …

Abkündigungen:
Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Orgelnachspiel: Martin A. Seidl: Praeludium et Fuga ex A-Dur von Johann Caspar Ferdinand Fischer (1670-1746)