Gottesdienst aus der ref. Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 2. Mai 2021
mit Annamarie Reining
Lied: Martin A. Seidl: Tochter Zion von Georg Friedrich Händel (1685 – 1759)Predigt:Liebe Gemeinde! Ich möchte Euch einladen, mit mir zusammen Jesus auf seinem Pilgerweg nach Jerusalem zu begleiten. 6 Kapitel lang erzählt der Evangelist Lukas von der Wallfahrt Jesu. Er ist mit seinen Jüngern, Anhängern und vielen anderen Menschen von Galiläa nach Süden unterwegs.. Besonders dicht erzählt Lukas über die Strecke von Jericho nach Jerusalem. Ein mühsames Stück, etwa 27 km lang aber mit einem Höhenunterschied von ca. 1000m. Und da waren ganze Familien mit Kindern und älteren Menschen dabei. Am Ende des langen Weges, als sich der erste Blick auf die Stadt Jerusalem öffnet, steht unser heutiger Predigttext: Lukas 19,37-40. Vom Königreich Gottes hatte Jesus unterwegs geredet, Heilungen haben die Menschen miterlebt. In Jericho spricht sich herum, dass ein Zöllner, der auf einen großen Ast gestiegen war, um Jesus zu sehen in der Begegnung mit Jesus begriffen haben soll, dass innerhalb der neuen, messianischen Weltsicht Jesu Korruption nicht mehr möglich ist. Was wäre das für ein Miteinander in Vertrauen und Transparenz…! – so beginnt die Menge den Aufstieg in Richtung Jerusalem. Da sitzt noch in der Nähe von Jericho ein blinder Bettler am Wegrand und schreit: ‚Jesus, du Sohn Davids erbarme dich meiner!‘ Immer wieder. Die Menge, die endlich den Gleichschritt gefunden hat, schimpft: ‚Sei doch still‘ ! Aber Jesus bleibt stehen: ‚Führt ihn her!‘ sagt er. Der Pilgerzug stockt. Jetzt erst hören sie den Ruf deutlich: ‚Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Gespannt schauen alle auf die Szene. Und Jesus lässt sich Zeit. Auf Augenhöhe mit dem Mann fragt er: ‚Was willst Du, dass ich Dir tun soll?‘ ‚Dass ich sehen kann!‘ Kommt zurück. Und alle erleben mit, wie dem Bettler die Augen aufgehen… Nachdenklich setzen sich die Wallfahrer wieder in Bewegung. – Jesus, Sohn Davids-der erwartete Messias -? Und mit welcher Würde Jesus mit dem armen Teufel umgegangen ist! – So geht es weiter bergauf. Jesus hört die Gespräche. Bei der ersten großen Rast beginnt er zu erzählen: ein Bildwort. Ein Hirt hat 100 Schafe in Obhut. Da passiert’s, dass eines fehlt. Was macht der Hirte? Er lässt 99 stehen – und der Evangelist Lukas verschärft noch – in der Wüste – und sucht das verlorene Tier, bis er’s glücklich gefunden hat. Ob das schlau ist? So fragten manche Kinder, denen ich das Gleichnis erzählt habe. Ob das wirklich schlau ist? Bei einer der Anti-Corona- Maßnahmen – Demos im März polterte eine Frau aufgebracht ins ORF-Mikrofon: 99% erkranken gar nicht oder ganz leicht, nur 1% muss ins Krankenhaus, auf die Intensiv-Station und ein paar wenige sterben. Aber 99% leiden, manche verlieren die Arbeit oder gehen pleite. Verrückt!! Aber so geht es in der messianischen Gemeinschaft, die der mitwandernde Jesus verkörpert. Es ist keine Selbstverständlichkeit in der Menschheitsgeschchte. Nur mit Zittern und Zagen und tiefstem Ur -und Gottvertrauen lässt sich die Würde des Einzelnen – heute der einzelnen, schwer Erkrankten durchhalten.. Weiter geht die Wanderung in Richtung Jerusalem. Man singt die bekannten Wallfahrtslieder. Manche erinnern sich an die 10 Aussätzigen, die in einiger Entfernung vom Weg Jesus um Heilung gerufen hatte. Und Jesus hatte nicht nach ihrer Schuld gefragt, was damals – vor allem bei Aussatz üblich war. Jetzt werden sie vielleicht schon die amtliche Bestätigung bekommen haben und in ihren Familien zu Hause sein. Im Nachdenken wird der mitwandernde Jesus immer durchsichtiger für das Erbarmen des Gottes Israels. Bei der nächsten Rast warten die Pilger schon auf die nächste Bildgeschichte. Und Jesus erzählt von der Heimkehr des gescheiterten Sohnes in seine Familie. Wir kennen sie alle, wie hier die sehnsüchtig wartende Liebe des Vaters zum Sinnbild für Gottes Liebe wird. Wer hört die Geschichte nicht gerne? Aber Jesus erzählt weiter – er spitzt die Geschichte noch zu -. Der Vater redet mit dem älteren Sohn,, der sich nicht mitfreuen will: In etwa sagt der Vater:“ Du hast recht, das Erbe ist geteilt. Und Recht muss Recht bleiben so wahr eine Woche 7 Tage hat. Aber könnte es gelegentlich nicht einen 8. Tag geben? Eine Zeit der Barmherzigkeit?“ Könnte es über politische Beschlüsse hinaus nicht öfter so etwas wie einen 8. Tag der Woche geben? Wem fallen da nicht die Zustände in den Südeuropäischen Flüchtlingslagern ein? Und mit Bangen fragen wir auch: Wie wird es für armutsgefährdete Menschen werden, wenn die Corona-Stundungen aufhören? Viele 8. Tage der Woche wird es da brauchen, selbst wenn rechtliche Hilfen kommen.. Und ist es nicht seltsam, dass gerade über diesem Corona – Jahr 2021 die Jahreslosung steht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Hellhörig geworden, erwarten viele die nächste Rast. Und Jesus stellt den Wallfahrern eine Bildgeschichte vor Augen, die bis heute verunsichert. Ich habe noch nie eine Predigt darüber gehört. Bleiben wir bei dem Bild. Für den Verwalter eines Großgrundbesitzers scheinen Eigentumsrechte nicht in Stein gemeißelt zu sein. Vielleicht hat er schon von der Gemeinschaftpflichtgkeit von Vermögen geträumt. Er hat sich nicht selbst bereichert. Aber nicht ganz uneigennützig ermöglicht er den verschuldeten Bauern erhebliche Schuldenschnitte.. Und! er wird in dem Gleichnis dafür gelobt! Hohe Pachtabgaben trieben damals Bauern in Dürrejahren oder im Krankheitsfall in den Ruin, d.h.in die Sklaverei. Jetzt wird den Wallfahrern bewusst, dass sie zum Passahfest pilgern. Dem Fest der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, hinein in ein neues Leben im Bund mit ihrem Gott. Und nun kommen wir an eine markante Wegstrecke. Es ist die Hochebene über der Stadt Jerusalem. Da entschließt sich Jesus zu einer deutlichen Symbolhandlung. Er lässt um einen jungen Esel bitten und setzt sich darauf. Und damit steht vor den Jüngern und den vielen Pilgern, die die Hochfläche erreicht haben, das Bild des messianischen Königs. Viele kennen die Worte des Propheten Sacharjas: Nun macht sich Jubel breit und ein neues Lied bricht sich Bahn: Ein Stück aus der Passah-Liturgie, ein Lied voller Hoffnung auf ein Neues wird gesungen: „Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe.“ Es geht bergab, da singt man laut und gut! Zugleich tut sich der Blick auf die Stadt Jerusalem auf! Mitwandernde Pharisäer – Jesus hatte Anhänger und Gegner unter ihnen – bitten Jesus, die Jünger und die Menge zum Schweigen zu bringen. Sie waren Realpolitiker. Denn es gibt vor dem Passah-Fest noch einen anderen Zug nach Jerusalem. Die große Wallfahrtsbewegung, der Jesus mit seinen Jüngern angehört, kommt von Norden über Jericho nach Jerusalem. Zur gleichen Zeit – vielleicht einen Tag früher oder später – zieht vom Westen her der gut bewaffnete Prokurator Pontius Pilatus mit Soldaten Pferden und Wagen in die Stadt Jerusalem. Er kommt, um im Sinne der Pax Romana Recht zu sprechen und um jeden Aufruhr im Keim zu ersticken. Und es wird wohl oft zum Passah-Fest Kreuze vor der Stadt gegeben haben. Den Pharisäern und anderen Pilgern mag nun die Angst hochgestiegen sein, da fällt das entscheidende Wort Jesu in unserem Predigttext: Ich sage Euch: “ Wenn diese schweigen, werden die Steine schreien!“ Wenn die Menschen – von Jesus inspiriert – vom neuen Gottvertrauen und neuem Miteinander in Barmherzigkeit und Güte singen – schweigen , werden die Steine schreien!“ Nach Ostern werden die frühen Christen das neue messianische Leben in die damals bekannte Welt hinaustragen. Sie verstehen sich als das königliche Priestertum, das die neue Lebensmelodie Jesu zu leben versucht. Und sie haben dabei vieles erdulden müssen bis hin zum Tod. Doch, wie oft im Lauf der Geschichte war die neue Lebensmelodie Jesu – auch in den Kirchen Europas – verstummt? Wir brauchen nur an die letzten 100 Jahre zu denken. Das Schreien der Steine war und ist unüberhörbar. Aber die messianische Lebensmelodie Jesu Christi ist nie ganz abgerissen!! Sie lebt von den Waldensern angefangen bis heute in vielen Teilen der Welt. In Europa sind Diakonie und Caritas die Thing-tanks der sozialen Verantwortung. Und zugleich hat der messianische Geist Jesu Christi die kirchlichen Bereiche längst überschritten. Ich freue mich immer, wenn hier in der Gemeinde die Kollekten auch für Organisationen wie z.B. das Neuner Haus, verschiedene Flüchtlings-Einrichtungen, abgekündigt werden. Der Geist Jesu Christi lebt auf, wenn die Not steigt. Zum Schluss sei uns das Motto der katholischen Dreikönigsaktion ans Herz gelegt: Es passt so gut zu dem heutigen Predigt-Text: „Aufstehen – Krone richten – weitergehen. Aufstehen – Krone richten – weitergehen. Amen. |