Kirchenraum

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 12. Juli 2020
mit Gerti Rohrmoser


Präludium (Martin Seidl): Allemande aus Französische Suite Nr. 3 in h, BWV 814; J. S. Bach (1685-1750)
Denn durch die Gnade seid ihr gerettet aufgrund des Glaubens, und zwar nicht aus euch selbst, nein, Gottes Gabe ist es:
Begrüßung:

Mit diesem Wort aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Ephesos darf ich Sie/Euch herzlich grüßen im Gottesdienst am heutigen Sonntag.
Ich möchte heute gemeinsam mit Ihnen darüber nachdenken, wie wir auf dieses Gnadengeschenk Gottes antworten, das uns eigentlich aus unserem gewohnten, alltäglichen Vielerlei und Allerlei herausruft.
Wie begegnen wir diesem Ruf? Ist es für uns leicht, ist es schwierig, oder ist es abwegig, Gottes Ruf zu folgen? Macht uns das Versprechen Gottes Hoffnung, so dass wir leichten Schrittes seinem Ruf folgen, oder setzen wir die Realität über die Hoffnung und Erfahrung über das Vertrauen in einen neuen Weg?

Bei allem aber, was wir hier heute und alle Tage tun und bedenken, dürfen wir darauf vertrauen, dass wir nicht allein gelassen sind, sondern dass Gott mit uns geht. Darum beginnen wir diesen Gottesdienst auch im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und der heiligen Geistkraft, die uns führen und stärken möge.
Amen.

Gebet:

Bevor der Tag
uns ganz einnimmt
mit seinem Neuen und Vielen
zwei Augenblicke,
vielleicht auch einen mehr
nur für Dich.

Die Augen heben
zum Himmel
und Dich grüßen –
voll Freude
mit weitem Herzen
und wachen Sinnen.

Komm, aus der Helle
des schon aufgeblühten Tags.
Sei mit uns in unserem Beten und Feiern,
sei mitten unter uns,
Du, der du „ICH BIN DA“, heißt.

Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 241: 1, 2 u. 8: 
Predigttext: Lukas 5, 1 – 11

Es geschah aber, während das Volk sich um ihn drängte und das Wort Gottes hörte und er am See Gennesaret stand, dass er zwei Boote am Ufer liegen sah. Die Fischer waren ausgestiegen und wuschen die Netze.

Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Dann setzte er sich und lehrte die Menge vom Boot aus.

Als er aufgehört hatte zu reden, sagte er zu Simon: Fahr hinaus ins Tiefe, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon entgegnete: Meister, die ganze Nacht hindurch haben wir gearbeitet und nichts gefangen, aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen.

Das taten sie und fingen eine große Menge Fische, ihre Netze aber drohten zu reißen. Da winkten sie den Gefährten im anderen Boot, sie sollten kommen und mit ihnen Hand anlegen. Die kamen, und sie machten beide Boote so voll, dass sie beinahe versanken.

Als Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füssen und sagte: Geh weg von mir, Herr, denn ich bin ein sündiger Mensch.

Denn er und alle mit ihm erschraken über den Fang, den sie getan hatten; so auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, die Simons Gefährten waren. Da sagte Jesus zu Simon: Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.

Und sie brachten die Boote an Land, ließen alles zurück und folgten ihm.

Liebe Gemeinde,

Im Roman „Der alte Mann und das Meer“ des amerikanischen Schriftstellers Ernest Hemingway wird erzählt, wie ein alter Fischer den Fang seines Lebens macht. Er ist weit aufs Meer hinaus gefahren und plötzlich hat er einen riesigen Fisch am Haken. Stundenlang muss er mit ihm kämpfen um ihn zu überwältigen. Erschöpft und stolz macht er sich auf den Rückweg. Endlich hat auch er etwas, wovon er erzählen kann, wofür er Anerkennung erwarten darf in der Hafenkneipe, wo man sich trifft.

Der Fisch ist viel zu groß für sein kleines Boot, sodass er ihn außen an der Bordwand befestigen muss. Mit letzter Kraft macht er sich auf den Heimweg, da bemerkt er, dass, angelockt vom Blut seiner Beute, viele kleine Raubfische auftauchen, um sich über seinen Fang herzumachen. Er kann sie nicht abwehren und muss hilflos zusehen, wie sie ihm alles vor den Augen wegfressen. Stück um Stück. Als er endlich im Hafen ankommt, hängt nur noch ein Gerippe am Haken.

Eine Geschichte, die mit einer glücklichen Überraschung beginnt, große Hoffnungen trägt und dann in bitterste Enttäuschung abstürzt. Hemingway beschreibt damit seine Lebensphilosophie: Die Menschen haben viele hochfliegende Pläne, sie starten ihre Unterfangen mit viel Hoffnung, doch am Ende werden alle vom Leben betrogen.

Der Duktus unserer biblischen Geschichte ist genau umgekehrt. Da steht am Anfang die Enttäuschung über eine erfolglose Nacht auf See, wo man mit leeren Netzen heim kommt. Doch am Ende ist das Boot so voller Fische, dass es fast versinkt.

Dabei beginnt alles ganz unspektakulär: Petrus und seine Fischer-Kollegen sitzen am Strand und waschen die Netze. Da gibt es einen Auflauf im Ort. Ein Fremder ist gekommen. – Das passiert nicht oft! Er scheint etwas zu suchen, oder jemanden. Da sieht er Petrus, geht schnurstracks auf ihn zu und bittet ihn um einen Gefallen. Einem Fremden schlägt man keinen Wunsch ab. Warum auch? Etwas Abwechslung tut gut. Petrus lässt ihn in sein Boot einsteigen, fährt ein paar Meter von Ufer weg und setzt sich neben ihn. Da fängt der Fremde an, zu den Leuten am Strand zu sprechen. Offensichtlich ist er ein Wanderprediger. Davon hört man gelegentlich, jetzt lernt er einmal so einen kennen. Was hat er zu sagen?

Petrus hört viel Neues in den folgenden Minuten oder Stunden. Und waren anfangs noch seine Hände mit Routine-Handgriffen beschäftigt und das Zuhören eher Nebensache, so ruhen die Hände bald und er schenkt der Rede des Fremden volle Aufmerksamkeit. Denn der redet über Dinge, über die er noch nie nachgedacht hat, die ihn aber sehr berühren. Er hört, wie der Fremde über das Leben spricht, über Hoffnungen und Enttäuschungen und warum man nicht aufgeben soll. Er redet von einer Kraft, die das Leben trägt, auch wenn sie nicht zu spüren ist, und dass diese Kraft ans Ziel bringt.

Petrus denkt nach. Wer ist er eigentlich? Er hatte nie über den Tag hinaus gedacht. Dass das Leben, sein Leben, das immer in vorgezeichneten Bahnen verlaufen war, etwas einmaliges und großes sei, ein Geschenk, für das man danken muss, darauf war er nie gekommen. Aber es stimmte. Man meint, alles bleibt immer gleich. Es gibt Veränderung, gewollte und solche, die das Leben einfach mit sich bringt. Und man muss sich darauf einstellen. Immer weiter im selben alten Trott – das erschien ihm plötzlich zu wenig.

Ich glaube, wir verstehen Petrus recht gut, selbst dann, wenn wir beim Rest der Geschichte vielleicht ein paar Bedenken haben: Das Leben bietet meist weniger, als unsere vorauseilende Phantasie gerne daraus machen möchte. Die Erfahrung zeigt, dass Enttäuschungen wahrscheinlicher sind als Wunscherfüllung.

Gerade in Zeiten, wo Klimawandel, Pandemie und viele andere Krisen infolge unbedachter und rücksichtsloser Globalisierungspolitik die Menschen verunsichert und entwurzelt können wir das gut nachvollziehen.

„Fahr doch noch-mal raus auf den See. Es wird sich lohnen.“, sagt der Fremde zu Petrus.

Nun weiß zwar selbst ein Meister vielleicht nicht alles über sein Handwerk, Unmögliches erkennt aber auch der Geselle schon. Petrus blickt den Mann irritiert und enttäuscht an und schüttelt den Kopf: „Wenn wir die ganze Nacht hindurch nichts gefangen haben, wieso dann jetzt? Jedes Kind weiß doch, dass die Fische nur nachts an die Oberfläche kommen und bei Tag unten bleiben, wo kein Netz hinkommt.“

Eben noch hatte ihn dieser Prophet so beeindruckt und angerührt, jetzt zweifelt er doch stark an dessen Kenntnissen und gesundem Hausverstand. Realität ist eben doch Realität!
„Fahrt hinaus, wo es tief ist und werft eure Netze aus“. Die Überzeugungskraft im Ton dieses Mannes ist es wohl, die ihn das Unmögliche versuchen lässt. Er hat ja nichts zu verlieren, außer ein, zwei Stunden Schlaf.

„Auf dein Wort hin will ich‘s versuchen“, antwortet Petrus und fährt tatsächlich hinaus, begleitet vom wissenden, ein wenig spöttischen Grinsen seiner Helfer, die sich nicht trauen auszusprechen, was jeder denkt: „Ein toller Redner ist er schon, aber Ahnung von Fischen hat er nicht.“

Was dann erzählt wird, ist mit unserem alltäglichen, gewohnten, an der Realität und lediglich am Beweisbaren orientierten Denken natürlich nicht vereinbar. Und hier scheiden sich dann auch die Geister; den einen unter den Hörenden erscheint die Geschichte ein Produkt orientalischer Fabulierkunst , während andere sagen es sei für Gott doch kein Problem, jederzeit einzugreifen, und ein Wunder zu wirken, wenn es ihm richtig erscheint. Ein Traum, sagen wieder andere, denen diese Erzählung ein Symbol ist für seelische Vorgänge, die zum Glauben führen. Es komme nicht aufs erzählte Geschehen an, sondern auf die Schilderung einer inneren Entwicklung beim künftigen Jesusjünger Petrus.

Sicher ist, jedenfall dem biblischen Bericht zufolge, dass Petrus zu dem Zeitpunkt, als Jesus das Dorf wieder verließ, sein treuester Anhänger geworden war und fortan nicht mehr von seiner Seite wich. Er verließ seinen Betrieb, die bescheidene Sicherheit einer kleinbürgerlichen Existenz und zog hinaus in die Welt. Auf ein Wort hin, ein Wort der Hoffnung, das alles in den Schatten stellte, was ihm bisher untergekommen war.

Nicht jedem, liebe Gemeinde, wird ein Boot voller Fische ins Haus geliefert, wenn er sich auf ein Wort der Hoffnung einlässt.

In Wahrheit, liebe Gemeinde, kommt es bei dieser Geschichte überhaupt nicht auf das Wunder mit von Fischen zum Bersten vollen Netzen an. Ich glaube Petrus hat etwas begriffen, was auch uns so nach und nach klar werden sollte: Das Leben ist nicht einfach nur vorhanden. Uns wird zugemutet, ihm ein Konzept zu geben, es auf Zukunft hin zu entwerfen. Davon hängt viel ab: Ob es ein hoffnungsfroher und perspektivreicher Entwurf ist, oder ob sich in dem erschöpft, was wir vor Augen haben.

Jede und jeder von uns steht vor der Entscheidung: Wählen wir den Weg, wie Hemingway ihn vorzeichnet, mit Hoffnung zu Beginn und Enttäuschung am Ende? Oder wollen wir den von Petrus gehen, mit hartem Realismus zu Beginn und Hoffnung am Ende? Mit Gottes Augen betrachtet, ist kein Leben wertlos oder ohne Sinn: Weil dem Schöpfer von Himmel und Erde nicht gleichgültig ist, was mit seinen Geschöpfen geschieht. Weil es nahe liegt, ihn, so wie Jesus es getan hat, als einen liebenden Vaters zu beschreiben, den Leiden und Verzweiflung rührt und der immer Partei ergreift für seine schwächsten Kinder. Gewiss, solche Vergleiche bewegen sich jenseits unseres an Beweisen und Kenntnissen ausgerichteten Denkens, aber sie können Hoffnung stiften über den Tag hinaus. Gott führt sein Werk zu Ende und es soll und wird kein böses Ende sein. Davon sprach Jesus und fortan auch Petrus.

Menschenfischer konnte er werden, als er begriffen hatte, wie viel ein Leben gewinnt, wenn ihm Sinn und Ziel geschenkt werden, wenn Umfassendes ins Spiel kommt. Mit so einer Erkenntnis kann man einfach nicht hinter dem Berg halten. Sie will mitgeteilt sein. Bis auf den heutigen Tag.

Amen

Gebet:

Guter Gott,
der du uns begleitest allezeit
durch die Gezeiten unseres Lebens
und uns nicht verlässt,
schenk uns einen großen Korb voll Ruhe,
stille Momente,
damit uns die Augen übergehen von all dem Schönen und Guten,
dass du in unser Leben gesetzt hast.

Fall unserer Geschäftigkeit
In den Arm
Und- wenn es sein muss – dann stell unserem Hasten und Rennen
ein Bein,
damit wir stolpern
und wieder bedächtig
einen Fuss vor den anderen zu setzen üben
auf unserem langen Weg zu Dir.

Nimm das Geschrei aus der Welt
und aus unseren Ohren,
so dass wir deine himmlische Stille wieder hören können
und das Lachen und Weinen unseres Nächsten.

Guter Gott,
wir bitten für uns
und für andere;
denn alle können wir mitwirken und helfen,
dass das Leben langsamer verläuft,
dass die Welt ihre hektische Aufgeregtheit verliert
und die Menschen einander länger ansehen können
mit deinen Augen und in deinem Geist.

Deiner Stille, Gott,
gib Kraft und Segen
damit unser Herz wieder nach Luft schnappen kann
und unser Auge aufhört zu zappeln.
Blase sie denen in die Ohren,
die unser Leben noch schneller machen wollen,
noch kürzer,
noch atemloser.
Nur wenn Deine himmlische Ruhe
Uns in den Ohren saust und flüstert und dröhnt,
kann in uns ein tiefes Gefühl
dafür wachsen,
dass du uns zum Frieden
gefertigt hast
und um einander Hoffnung zuzusprechen
und die Lasten zu tragen.

Unser Vater …

Abkündigungen:
Segen:

Gott lasse seine Freundlichkeit
über dir leuchten.

Er halte seine Hand schützend über dir
auf allen deinen Wegen.

Er gewähre dir eine gute Zeit
und Tage mit erfüllten Stunden.

Er wache über deine Gesundheit
und beschenke dich mit allem,
was deinen Leib nährt
und deine Seele wärmt.

Wird dir ein Weg schwer,
so trage dich sein Erbarmen.

Gott lasse dich an jedem Tag wachsen
in seiner Liebe,
in seiner Weisheit
und in seinem Frieden.

Postludium (Martin Seidl): Allemande aus Französische Suite Nr. 4 in Es, BWV 815, J. S. Bach (1685-1750)