Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 13. Dezember 2020,
3. Advent mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelvorspiel: Martin Seidl: Nun komm, der Heiden Heiland, Dieterich Buxtehude (1637-1707)
Spruch: Lk. 21, 28b:

Richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht.

Begrüßung:

„Eure Erlösung naht!“ Nein, dieser Satz ist kein Werbeslogan für die Impfung gegen Covid – 19. Die „Erlösung“ von all dem, was die Zeit der Pandemie mit sich bringt, ist etwas, wonach wir uns sehnen. Wir stehen aber nicht nur mitten in einer Pandemie – wir stehen auch mitten im Advent. Die dritte Kerze brennt am Adventkranz. Advent, die Zeit des Wartens, der Erwartung, der Wiederentdeckens, dass Hoffen, Träumen, Sehnsucht wichtige Aspekte unseres Glaubens sind. Kein Hoffen ins Leere hinein, sondern eine feste Zuversicht: Gott kommt zu uns, und das immer wieder. So feiern wir diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 80, 2-8.19-20:

Ein altes Gebet zum Thema: „Wann, Gott, wird es endlich wieder so wie früher?“:

2 Hirt Israels, höre,
der du Josef leitest wie Schafe.
Der du auf den Kerubim thronst, erstrahle
3 vor Efraim, Benjamin und Manasse.
Erwecke deine Macht
und komm uns zu Hilfe.
4 Gott, lass uns zurückkehren,
und lass dein Angesicht leuchten, so ist uns geholfen.
5 Herr, Gott der Heerscharen,
wie lange noch zürnst du beim Gebet deines Volks?
6 Du hast sie mit Tränenbrot gespeist
und sie mit Tränen getränkt über die Massen.
7 Du setzt uns dem Streit unserer Nachbarn aus,
und unsere Feinde treiben ihren Spott.
8 Gott der Heerscharen, lass uns zurückkehren,
und lass dein Angesicht leuchten, so ist uns geholfen.

19 Von dir werden wir nicht weichen,
erhalte uns am Leben, so wollen wir deinen Namen anrufen.
20 Herr, Gott der Heerscharen, lass uns zurückkehren,
lass dein Angesicht leuchten, so ist uns geholfen.

Gebet:

Barmherziger Gott,
zu dir kommen wir aus dem Getriebe und der Hektik des Alltags.
An zu vielen Orten stöhnt und seufzt die Welt.
Und manches stöhnt und seufzt in uns.
Aber du gehst deinen Weg weiter.
Auf uns zu.
Wir bitten dich, richte uns auf und richte uns aus!
Hab Geduld mit uns, wo sie uns fehlt.
Nimm weg, was uns von dir und voneinander trennt.
Erbarme dich unser!
Wir danken dir, Gott,
der du uns im Krippenkind begegnest.
Nichts kann dich hindern auf dem Weg zu uns.
Du kommst auf uns zu und suchst uns auf.
Darauf gründen wir unsere Hoffnung.
Der Advent weist uns auf die Anfänge deiner Geschichte mit uns.
Du zeigst dich unter uns
und fühlst, was es heißt, in unserer Haut zu stecken.
Du lebst ein Menschenleben und richtest uns auf die Zukunft aus,
die du schenkst.
So bitten dich: schaffe dir Raum in diesem Advent,
unter uns und in uns und in unserer Welt,
auf dass wir dir begegnen.
Amen.

(nach Björn Corzilius)

Lied: Evangelisches Gesangbuch 8, 1-4: Es kommt ein Schiff geladen

1) Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein‘ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewig‘s Wort.

2) Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig’ Geist der Mast.

3) Der Anker haft‘ auf Erden,
da ist das Schiff am Land.
Das Wort tut Fleisch uns werden,
der Sohn ist uns gesandt.

4) Zu Bethlehem geboren
im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren;
gelobet muss es sein.

Predigt: Jakobus 5, 7-11

7 Übt euch also in Geduld, liebe Brüder und Schwestern, bis zum Kommen des Herrn! So wie der Bauer: Er wartet auf die kostbare Frucht der Erde und harrt geduldig auf sie, bis er sie empfängt als Frühernte und als Späternte.
8 So auch ihr: Übt euch in Geduld, stärkt eure Herzen, denn das Kommen des Herrn steht bevor.
9 Beklagt euch nicht übereinander, liebe Brüder und Schwestern, damit ihr nicht ins Gericht kommt! Seht, der Richter steht vor der Tür!
10 Liebe Brüder und Schwestern, nehmt euch ein Beispiel am Leiden und an der Geduld der Propheten, die im Namen des Herrn gesprochen haben.
11 Seht, wir preisen selig, die standhaft geblieben sind. Von der Standhaftigkeit Hiobs habt ihr gehört, und das gute Ende, das ihm der Herr geschenkt hat, konntet ihr sehen: Voll Mitleid und Erbarmen ist der Herr.

Liebe Gemeinde!

Irgendwie reicht’s langsam! Ganz schneller harter Lockdown, Lockerung des Lockdowns, gar kein Lockdown, nur besondere Regeln; dann weicher Lockdown, wieder harter Lockdown, ein bisserl weicherer Lockdown, zu Weihnachten vielleicht eine Art butterweicher Lockdown, bevor es über Silvester wieder so richtig hart wird.

Ja, es reicht, es ist genug, wir haben keine Lust mehr zum „Downlocken“, und viele andere um uns auch nicht, aber es ist nun einmal so, dass uns das Coronavirus keine Wahl lässt. Es lässt sich nicht wegignorieren, so sehr sich das manche auch wünschen, es fordert Maßnahmen, Umsicht, Verantwortung, Selbsteinschränkung zu Gunsten von Anderen, ja, es fordert nichts anderes als zutiefst christliche Einstellungen und Haltungen. In der Krise entdecken erfahrungsgemäß viele Menschen den Glauben als Trost und Hilfe wieder. Nicht weniger, denke ich, zwingt uns die Krise, auch christliches Denken, Urteilen und Handeln wieder zu entdecken.

Auch und besonders die christliche Tugend der Geduld. Geduldig zu sein, heißt ja nicht, kritik- und widerstandslos Alles hinzunehmen. Geduld heißt vielmehr, die augenblickliche Situation richtig einzuschätzen, Machbares vom momentan unmöglich Machbaren zu unterscheiden, eine Perspektive, ja einen Glauben zu haben, dass es besser werden wird, und die Fähigkeit, auf dieses Besser-Werden auch warten zu können, ohne alles jetzt und gleich erzwingen zu wollen.

Geduld ist in dieser unserer Zeit nötig, Geduld haben gläubige Menschen immer schon haben müssen. „Richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung naht,“ mit diesem Satz Jesu hat unser Gottesdienst heute begonnen, ein Gottesdienst, der ja selbst ein Hoffnungszeichen ist, ist der doch der erste wieder nach vier Wochen hier in unserer Erlöserkirche. Ein bisserl „Aufrichten“ und „Haupt Erheben“ ist das ja auch. Auch der Jakobusbrief ist diesbezüglich eindeutig: übt euch in Geduld. Zum Glauben gehört eben auch dazu, dass nicht immer alles so sein muss, wie ich es mir gerade vorstelle. Die große Hoffnung, die Jesus anspricht, die Hoffnung, die die Gemeinde des Jakobusbriefes nicht verlieren sollte, war natürlich die Überzeugung, dass diese unsere unvollkommene Erde zu Ende gehen und Gott eine ganz neue schaffen würde. Ein wichtiges Element des Glaubens der ersten Christinnen und Christen. Das ihnen viel Geduld abgefordert hat. Denn viele Anzeichen haben schon damals darauf hin gedeutet, dass diese neue Welt nicht so schnell kommen würde. Und, wie wir heute wissen: dieser Glaube an Weltende und neuer Weltanfang war die ganz große Fehleinschätzung der ersten christlichen Gemeinden Sie ist immer noch da, unsere Welt. Immer noch gleich fehlerhaft und unvollkommen, wie vor 2000 Jahren.

Die Erkenntnis, sich in dieser Glaubensfrage geirrt zu haben, war die große Glaubenskrise der frühen Christenheit. Eine Krise, in der man den Hut draufhauen hätte können, auf Gott und Jesus und alles, was man sonst noch so bisher geglaubt hatte. Oder eben eine Krise, die zur Chance geworden ist. Weil plötzlich darüber nachgedacht werden musste: wenn Gott jetzt doch nicht die alte Welt untergehen und die neue entstehen lassen wird, dann müssen wir wohl anfangen, uns in dieser Welt einzurichten. Müssen uns fragen: hilft uns unser Glaube vielleicht auch, im hier und jetzt zu leben? Sind die großen Zukunftsvisionen unserer heiligen Schriften vielleicht nicht unbedingt etwas, das sofort passieren muss, sondern vielleicht erst einmal Inspiration, wie es schon jetzt ein bisschen besser werden kann.

Auch das Hoffen auf das „bisserl Besser“ fordert Geduld. Selbst wenn das Coronavirus einmal besiegt ist – die Welt wir dadurch noch lange nicht perfekt sein. Aber unsere „Glaubensbrille“, also die Art und Weise, wie wir die Dinge sehen, motiviert uns, Hoffnung zu haben. Weil wir sehen können, wie viel Gutes auch in dieser Zeit entstehen konnte, an Freundschaft, Fürsorge, Nächstenliebe. Wie unser Leben da und dort eine ganz andere, aber eben auch ganz anders gute Dimension bekommen, wenn wir, auf das Wesentliche reduziert, viele Dinge wieder so richtig zu schätzen gelernt haben.

Und nicht zuletzt: wenn ich auf all die Verschwörungstheoretiker schaue, die hinter der Corona-Krise unendlich viele versteckte Gefahren sehen, Manipulation, Gedankenkontrolle, Weltherrschaft, apokalyptische Zerstörung, dann sehe ich ganz deutlich, was für ein Unterschied dann diejenigen sind, denen ihr Glaube hilft, geduldig zu sein. Menschen mit Gottvertrauen haben keine Angst vor dunklen Fädenziehern hinter dem Lauf der Welt. Menschen mit Gottvertrauen nehmen sich die Freiheit, zu hoffen und zu handeln. Wissen: es gibt einen guten Gott. Einen guten Gott, der Menschen zum Guten befähigt. Und diesen von Gott gut gemachten Menschen, denen kann niemand etwas anhaben.

Also: bleiben wir geduldig. Aufgerichtet und mit erhobenem Haupt. Denn unser Gott ist uns immer nahe. Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch 11, 1-2: Wie soll ich dich empfangen

1) Wie soll ich dich empfangen
und wie begegn‘ ich dir?
O aller Welt Verlangen,
o meiner Seelen Zier!
O Jesu, Jesu, setze
mir selbst die Fackel bei,
damit, was dich ergötze,
mir kund und wissend sei.

2) Dein Zion streut dir Palmen
und grüne Zweige hin,
und ich will dir in Psalmen
ermuntern meinen Sinn.
Mein Herze soll dir grünen
in stetem Lob und Preis
und deinem Namen dienen,
so gut es kann und weiß.

Gebet: 

Gütiger Gott,
wir sehen auf zu dir und bitten dich:
Gib acht auf uns und unsere Welt.
Sie wartet auf Erlösung, wo Stöhnen und Seufzen ist,
auf Frieden unter Krieg und Gewalt,
auf Ermutigung in Angst und Zweifel.
In besonderer Weise denken wir an die vielen Menschen auf der Flucht,
an die Kinder und die Alten in den Lagern und Kriegsgebieten,
die Hunger und Angst nicht schlafen lassen.

Treuer Gott, wir sehen auf zu dir und bitten dich:
Gib acht auf all jene, die Trost suchen und keinen finden,
die hungern nach Liebe und Aufmerksamkeit,
die einsam sind gerade in der Adventszeit.
In besonderer Weise denken wir an die Menschen unter uns,
die einen lieben Menschen verloren haben,
und legen sie dir ans Herz.
Begegne ihnen, lass sie Trost und Zuwendung erfahren
.

Barmherziger Gott,
wir sehen auf zu dir und bitten dich: Sieh auf deine Kirche.
Hilf uns deinem Ruf zu folgen und deine Botschaft in die Welt zu tragen.
Stärke unser Vertrauen in dich und nähre unsere Hoffnung darauf,
dass du kommst, wie es uns verheißen ist,
und unsere Welt vollendest.

Amen.

(nach Björn Corzilius)

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Orgelnachspiel: Martin Seidl: Orgelchoral mit Variationen, Christe, der du bist Tag und Licht, Georg Böhm (1661-1734)