Foto: Ulrike Wittich

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 15. November 2020
mit Ulrike Wittich (Leopoldi, Heilige)


Präludium: Markus Rohrmoser: Der Klare Bach von Friedrich Franz Burgmüller (1806-1874)
Spruch: Ps 89, 6:

Die Himmel sollen preisen deine Wunder, Gott, und deine Treue in der Versammlung der Heiligen.

Begrüßung:

Mit diesem Vers aus dem 89. Psalm begrüße ich euch in dieser kleinen Runde und alle, die dies später auf der Website lesen.
Die Heiligen, wer sind sie? Wer ist hier angesprochen, wer gemeint? Was gäbe es für einen passenderen Tag, um danach zu fragen, als den heutigen, den Tag des heiligen Leopold, Schutzpatron von Wien. Ein seltener kalendarischer Zufall, dass dieser Tag einmal auf einen Sonntag fällt und somit kein zusätzlicher Feiertag ist. Wer waren, wer sind die Heiligen, die ja in unserer evangelischen, reformierten Tradition keine Rolle spielen und doch auch in unserem Glaubensbekenntnis vorkommen. Namenspatrone, Schutzheilige, Bindeglieder zwischen Mensch und Gott? Ein Konzept, dass auch uns gefallen könnte gerade in diesen in schwierigen Zeiten, wo wir des Schutzes so besonders bedürfen?
Darüber wollen wir heute nachdenken, wir in der Versammlung der Heiligen im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes..

Wir beten mit den Worten des 121. Psalms:

Wir beten mit den Worten des 102ten Psalms, dem „Gebet eines Elenden, wenn er verzagt und vor dem Herrn seine Sorge ausschüttet“, wie es im ersten Vers heißt:

Ich hebe meine Augen zu den Bergen:
Woher wird mir Hilfe kommen?
Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Er lässt deinen Fuß nicht wanken;
Der dich behütet schlummert nicht.
Sieh, nicht schläft noch schlummert der Hüter Israels.
Der Herr ist dein Hüter, er ist dein Schatten zu deiner Rechten.
Bei Tag wird dich die Sonne nicht stechen
Noch der Mond des nachts.
Der Herr behütet dich vor allem Bösen,
er behütet dein Leben.
Er behütet deinen Ausgang und Eingang
Von nun an bis in Ewigkeit
.

Gott, in deinem Schutz können wir leben. Weil du gut zu uns bist, können wir gut leben. In deiner Nähe können wir gut sein zu uns selbst und zu anderen, weil wir dir vertrauen und uns auf dich verlassen. Gott, sei unsere Hilfe, wenn wir uns sorgen, sei bei uns, wenn wir zweifeln. Sei nahe und mach du uns stark.
Amen

Zwischenspiel: Markus Rohrmoser: Sonate B-Dur von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847)
Predigt:

Liebe Gemeinde!

Ich liebe katholische Feiertage! Geschenkte freie Tage ohne jegliche Pflichten. Besonders liebe ich diejenigen, die zwar schulfrei sind, aber eigentlich keine zusätzlichen Sonntage. Allerdings muss ich zugeben, dass ich den Sinn nicht verstehe, frei für Schulen. Ämter und Behörden geschlossen, aber nicht arbeitsfrei für alle? Der heutige Tag wäre so einer, wenn er nicht auf einen Sonntag fiele. Leopoldi, der Tag des heiligen Leopold. Von dem ich nichts wusste und der mich nicht interessierte, so wie ich überhaupt dem Konzept der Heiligenverehrung ein typisch protestantisches Desinteresse entgegenbringe. Oder Unverständnis.
Aber heute drängt sich das Thema auf. Und Allerheiligen ist auch noch nicht lange vorbei. Also mache ich mich ein bisschen kundig. Ob mit dem Wissen wohl auch mein Verständnis zunimmt?
VEin Schutzpatron (so lese ich) ist nach katholischem und orthodoxem Verständnis ein Heiliger, der in besonderer Weise um seine Fürsprache für einen bestimmten Ort, einen Beruf oder einen Zustand angerufen wird, weil er, wie alle Heiligen, Gott besonders nahe steht. Oder: Gläubige dürfen Heilige um ihr fürbittendes Gebet bei Gott anrufen, die Heiligen werden dabei aber keineswegs angebetet noch werden ihnen göttliche Kräfte zugesprochen. Aha.
Das heißt dann wohl, dass ein katholischer Wiener den heiligen Leopold bitten kann, Wien, bzw. die Menschen, die hier leben, besonders zu beschützen. Dieser Schutz, so hoffe ich, würde dann auch für Nicht-Katholiken gelten. Oder wie ist das? Oder ist das eine zu moderne Frage?
Übrigens lebte Leopold II, Markgraf von Österreich von 1073 bis 1136, also lange vor der Reformation. Er trug die Beinamen „der Fromme“ oder „der Milde“ aufgrund seiner Großzügigkeit in Wien und NÖ und vieler Klostergründungen, z.B. des Stiftes Klosterneuburg. 1485 wurde er heiliggesprochen. Der 15. November 1136 war sein Todestag.
Natürlich ist unser Leopold auch der Namenspatron für alle Leopolds und Leopoldines, die also heute Namenstag haben. Ich weiß nicht, wie sehr es heute noch üblich ist, Kindern bewusst den Namen eines bestimmten Heiligen zu geben, früher aber orientierte man sich an dessen Lebensgeschichte und Persönlichkeit, denn der Namensgeber sollte das Handeln des Kindes beeinflussen und sein besonderer Schutzpatron sein. Vorbild und Beschützer. Da kann ich noch halbwegs mit.
Besonders beliebt war die Heiligenverehrung im Mittelalter, einer Epoche geprägt von Kriegen, Kreuzzügen und Krankheiten. Und einer Pandemie: der Pest. Krankheiten, negative Ereignisse und Erfahrungen wurden als Strafe Gottes gesehen, der niemand entgehen konnte. Die Menschen hatten Angst. Auch vor Gott. Viel Angst. Die Menschen brauchten Hilfe und Schutz, viel Hilfe und viel Schutz. Und sehnten sich nach göttlicher Nähe. Durch die Fürsprache eines Heiligen erhoffte man sich göttliche Gunst. Aber Christus und Gott erschienen so unendlich unerreichbar und die Heiligen waren näher. Näher bei den Menschen und näher bei Gott.
Manchmal, so denke ich, würde auch uns so eine Heerschar von göttlichem Hilfspersonal ganz gut gefallen. Gerade in so unsicheren Zeiten wie jetzt.
Aber wie wurde, wie wird man eigentlich ein Heiliger, eine Heilige? Heilige, so lese ich weiter, zeichnen sich durch ihre Glaubensfestigkeit und ihre vorbildliche Lebensweise aus.
Voraussetzung für eine Selig- bzw. Heiligsprechung (in 2 Stufen) ist allerdings mehr: Voraussetzung ist ein erlittenes Martyrium oder ein heroischer Tugendakt plus der Nachweis eines Wunders, das auf die Anrufung des angehenden Seligen /Heiligen und dessen Fürsprache bei Gott bewirkt wurde. Hm. Sehr strange. Wie das mit dem Nachweis des Wunders wohl funktioniert? Und auch das mit dem Martyrium geht mir gehörig gegen den Strich. Die Helden des Glaubens, die es in der Chefetage zu etwas bringen, Mittler zwischen Mensch und Gott, göttliche Sekretärinnen? Christliche Zwei- oder Dreiklassengesellschaft?
Auch finde ich den Mittlergedanken zweifelhaft, die Ansicht nämlich, dass Gott einem heiligen Fürsprecher eher die (im Namen von Betenden) vorgebrachte Bitten erhört als den Betenden selbst.
Heilige Gebetsverstärker, sozusagen.
Schon Luther hat sich heftig gegen die exzessive Heiligenverehrung im Mittelalter gewehrt und auf Jesus hingewiesen, in dem Gott menschlich und uns nahegekommen ist. So nahe, dass wir keine göttliche Hierarche brauchen. Wir alle sind Gott gleich nahe als Kinder eines liebenden Vaters.

Aber wohin jetzt mit der „Gemeinschaft der Heiligen“, an die wir ja laut Glaubensbekenntnis doch glauben?
Ich bin erstaunt, als ich bei meinen Heiligen-Forschungen auf einen Abschnitt über sogenannte „Heilige von heute“ stoße, Menschen, die (Zitat) „trotz Verfolgung und Folter für ihren Glauben eingetreten und gestorben sind“. Dietrich Bonhoeffer und Martin Luther King werden da als Beispiele genannt. Heilige von heute, nicht heiliggesprochen natürlich, weil sie ja, wie man weiß nicht einmal katholisch waren.
Heilig ist, wer heil ist und heil macht. Wer Unheil heilt. Mir gefällt das Wortspiel. Heil ist, wer im Einklang mit sich selbst, seinen Mitmenschen und Gott zu leben versucht. Menschen durch die Gottes Liebe hindurchscheint.
Und dazu muss man, da bin ich ganz sicher, nicht unbedingt verfolgt und gefoltert werden. Man braucht auch keinen Beweis seiner Glaubensstärke im Leiden. —
Vielleicht sollte ich ja doch nicht nur in einschlägigen Artikeln über Heilige herumsuchen, sondern auch einmal in die Bibel schauen. In der Konkordanz finde ich viel mehr Bibelstellen, wo der Begriff vorkommt, als ich dachte. Einerseits, natürlich, ist Gott der Heilige. Und Jesus. Dann aber, gibt es auch etliche Stellen, wo Menschen als Heilige angesprochen werden, nicht nur eine kleine elitäre, erhabene Schar, sondern alle, die zu Gott gehören. Oder, wie es in anderen Bibelübersetzungen heißt, wenn in der Lutherbibel „Heilige“ steht: „Seine Getreuen“, oder „die Ihr zu Gott gehört“.
Das hören wir mit, wenn es jetzt von diesen Heiligen heißt :

  • „Alle Heiligen sind in deiner Hand. Sie werden sich setzen zu deinen Füßen und werden lernen von deinen Worten.“ (Dtn 33,3)
  • „Erkennt doch, dass der Herr seine Heiligen wunderbar führt; er hört, wenn ich ihn anrufe.“ (Ps 4,4)
  • „Denn der Herr hat das Recht lieb und verlässt seine Heiligen nicht. Ewiglich werden sie bewahrt.“ Ps 37, 28

Geborgen, geführt, bewahrt, erhört. Und lernend. Seine Getreuen, seine Heiligen. Die die zu Gott gehören.

  • Und besonders das:
    „So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den anderen und vergebt euch untereinander.(…) Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“ (Kol 3, 12 – 14)

In dieser Reihenfolge gilt das. Erbarmen, Freundlichkeit, Demut etc. sind nicht die Voraussetzung, die Vorbedingung der Heiligkeit, sondern die Heiligkeit der von Gott Geliebten ist einfach so da und wohl eher die Grundlage von Sanftmut, Geduld und Liebe und all dem.
Vielleicht sind sie ja gar nicht so erhaben, so besonders, die Heiligen, sondern Alltagsmenschen wie wir, Menschen, die als Geliebte Gottes dafür eintreten, dass die Welt mit Gott ein bisschen heiler wird.
Wir alle, die Gemeinschaft der Heiligen.
Amen

Gebet: 

Guter Gott,
Wir sind in deiner Hand.
Gerade in einer Zeit, in der so Vieles aus den Fugen zu geraten scheint.
Wir sehnen uns nach Sicherheit,
nach Trost und starker Hoffnung,
die uns, trotz allem, mit Zuversicht in die Zukunft blicken lässt.
So dürfen wir dich bitten,
für alle, die jetzt besonders gefordert sind,
in Pflege und medizinischer Betreuung,
in Fürsorge und Begleitung,
im Planen und Organisieren der nun notwendigen Maßnahmen.
Wir bitten für uns,
um einen klaren Blick für unsere Verantwortung,
für uns, aber vor allem auch für unsere Mitmenschen.
Sei du, der Heilige, unsere Begleitung und unser Schutz.
Amen.

Und gemeinsam beten wir: Vater Unser …

Abkündigungen:
Segen:

Tief in uns – deine Geduld
Uns zugewandt – dein Erbarmen
Mitten unter uns – deine Nähe
Um uns herum – dein Segen.
Heute, morgen und an jedem Tag.

Postludium: Markus Rohrmoser: Improvisation nach Eddie Esposina (*1978)