Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 25. Dezember 2020,
Erster Weihnachtstag mit Gerti Rohrmoser und
Pfr. Johannes Wittich
Präludium: Johannes Wolfram: ImprovisationMit freundlicher Genehmigung des Komponisten. Spruch: 2. Petr. 1, 19:Eine umso festere Grundlage haben wir darum im prophetischen Wort, und ihr tut gut daran, darauf zu achten, wie auf ein Licht, das an einem dunklen Ort scheint, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in euren Herzen. Begrüßung:„Prophetisches Wort“ – das, was noch nicht da ist, aber von Gott versprochen wurde, nicht aus dem Blick verlieren, darum geht es zu Weihnachten. Am Heiligen Abend sehen wir, was im Stall von Betlehem schon geschehen ist. Aus dem Heiligen Abend kommend gehen wir weiter, können die Geschichte nicht als etwas Vergangenes sehen, sondern als Bild, das uns immer wieder hoffen lässt, motiviert und stärkt. Es ist schon etwas geschehen, das Licht Gottes ist da. Aber der „dunkle Ort“, der diese Welt sein kann, ist dadurch nicht verschwunden. Immer wieder müssen wir ihm das Licht entgegenstellen. Das tun wir auch heute, wenn wir gemeinsam feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes … Gebet (Gerti Rohrmoser):Guter Gott, Lied: Evangelisches Gesangbuch 49, 1-2: Der Heiland ist geboren1) Der Heiland ist geboren, 2) Das Kindlein auserkoren, Predigtteil 1 (Johannes Wittich):Liebe Gemeinde! Der erste Weihnachtstag, so hat es sich in den letzten Jahren entwickelt, ist die Gelegenheit, in unserer Gemeinde Tischabendmahl zu feiern. Wie bei allen anderen Gottesdiensten, an denen Abendmahl vorgesehen war, muss auch heute, die Abendmahlsfeier ausfallen, wegen Covid-19. Brot und Wein zu teilen, wegen der Gefahr der Verbreitung des Virus, geht einfach im Moment nicht. Diese unsere Sorgen hätten die ersten Christinnen und Christen haben wollen! Das Feiern des Abendmahls absagen wegen Hygienevorschriften, wegen einer Ansteckungsgefahr! Darüber hat man sich damals keine Sorgen gemacht, ja konnte man sich gar keine Sorgen machen. Rein gar nichts wusste man über Viren und Bakterien. Die Frage der “Reinheit” hat sich in ganz anderer Weise gestellt, nämlich so: darf man beim Abendmahl, das damals noch ein richtiges gemeinsames Essen gewesen ist, Fleisch zu sich nehmen, das vorher schon einmal bei einem heidnischen Opferkult im Einsatz gewesen ist? Es ging also um kultische Reinheit, nicht um das, was wir heute als “Gammelfleisch” kennen. “Alles ist erlaubt, aber nicht alles ist zuträglich. Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf. Niemand suche das Seine, sondern jeder das des Anderen“ (1. Kor. 10, 23-24) – so schreibt der Apostel Paulus im ersten Korintherbrief. Ein bekannter Satz, ein starkes Statement, eine Proklamation christlicher Freiheit: nichts, aber schon gar nichts, ist mir verboten. Allerdings: diese Freiheit geht einher mit Verantwortung: nicht alles, wozu ich frei bin, muss auch gut sein. Manche überzogen verstandene Freiheit kann Schaden anrichten, kann neue Unfreiheit entstehen lassen. Freiheit, gelebte Freiheit, soll “aufbauen”, stärken, Neues möglich machen, Gutes hervorbringen. Und zwar nicht zuerst für mich selbst, sondern für meine Mitmenschen. So kann Paulus zuerst einmal entspannt sagen: esst, was ihr wollt. (Man merkt übrigens hier, dass damals auch noch nicht bekannt war, dass Essen ungesund sein oder dick machen kann. Selige Zeiten!) Esst, was ihr wollt, und wenn es Opferfleisch ist, dann ist das auch egal, denn selbst dieses Fleisch stammt aus Gottes Schöpfung. Ein bisserl nimmt Paulus für mich hier das vorweg, was man Jahrhunderte später einmal eine “österreichische Lösung” nennen wird: “Nutzt nix, so schad’s nix.” Solange ihr nicht wisst, wo das Fleisch herkommt, tut euch keinen Zwang an. “Denn des Herrn ist die Erde und alles, was sie erfüllt”, zitiert Paulus den 24. Psalm. (Manch ein fleischverarbeitender Betrieb heute wäre glücklich über so unkritische Kunden!) Aber, und das ist das große “Aber” bei Paulus: “Falls aber jemand zu euch sagt: Das ist Opferfleisch!, so esst nicht davon aus Rücksicht auf den, der darauf aufmerksam gemacht hat, und aus Rücksicht auf das Gewissen – das Gewissen des andern meine ich aber, nicht das eigene.” (1. Kor. 10, 28-29). Mit anderen Worten: selbst wenn du selbst in christlicher Freiheit Speisegebote für überflüssig hältst, von “rein” und “unrein” nichts mehr wissen willst – halte dich trotzdem daran, wenn es deinem Mitmenschen hilft. Wenn der diesbezüglich heikler ist, wenn dem bestimmte Speisen sozusagen theologisch hochkommen, wenn für den bestimmtes Essen eine spirituelle Geschmacksverirrung ist, dann lass du die Finger davon. Damit es dem anderen im geistlichen Sinne nicht graust. Paulus diskutiert alle diese Fragen, wie gesagt, im Zusammenhang mit der Feier des Abendmahls – für uns heute nicht mehr nachvollziehbar, weil dieses Thema der “reinen Speisen” uns nicht mehr betrifft. Aber Paulus geht es nicht um das Essen selbst. Ihm geht es um den Geist, der bei der Feier des Abendmahls herrschen soll. Nichts soll zwischen den Menschen am Tisch Jesu Christi stehen. Die Gemeinschaft soll ungetrübt sein. “Weil es ein Brot ist, sind wir, die vielen, ein Leib.” (V. 7a) Predigtteil 2 (Gerti Rohrmoser):Das ist eine gute Frage! Überlegen wir doch einfach mal, wofür das Abendmahl steht. Theologisch ist das ganz klar: ein Erinnerungsmahl an das letzte Essen Jesu im Kreis seiner Jünger bevor man ihn verhaftet hat und eine Erinnerung auch daran, was er auf sich genommen hat, um uns wieder und immer auf’s Neue aus unserem Getrenntsein von Gott herauszuholen sozusagen die ursprüngliche Verbindung trotz aller Belastung und Schuld wiederherzustellen. Brot und Wein sind beim Abendmahl die für uns gewohnten Hilfsmittel. So kennen wir es einfach, so wird seit Jahrhunderten gefeiert. Wobei ja – in unserer Tradition -weder Brot noch Wein irgendwelche magische Kräfte innewohnen, Brot bleibt Brot und Wein bleibt Wein und die besondere Kraft liegt in den Worten, mit denen das Abendmahl gereicht wird. Wenn unser Herz offen ist und unser Innerstes bereit, dann ist in ihnen die Erinnerung an Jesus so mächtig, als wäre er präsent und wandelt uns von beladenen zu befreiten Menschen. Im Grunde sind die Hilfsmittel für diesen Vorgang nebensächlich. Wir könnten Abendmahl auch mit Toast und Tee feiern oder mit Reis und Himbeersaft. Oder so, wie Du es schon gesagt hast und wie es die frühen christlichen Gemeinden getan haben mit einem ganz üblichen gemeinsamen Essen. Ob wir Jesus als mitten unter uns wirkend empfinden hängt ab von unserer Einstellung und nicht davon, was auf dem Teller liegt. Die Erinnerung und Vergegenwärtigung funktionieren auch, wenn der Tisch leer ist, man müsste dann vielleicht nur andere Worte dafür finden. Aber die Sache mit dem Abendmahl hat natürlich noch einen zweiten Aspekt, den der Gemeinschaft und der gibt dem Ritual noch einmal eine ganz besondere Qualität und Stärke. Miteinander um den Abendmahlstisch zu stehen, aus demselben Kelch zu trinken, einander die Hände zu reichen für das Sendungswort, in der Berührung der neben uns stehenden Menschen spüren, dass Gott den Menschen anrührt … So fühlt es sich jedenfalls für mich an, und ich gebe zu: zur Zeit vermisse ich das sehr heftig und schmerzlich. Wenn es aber beim Abendmahl auch darum geht, Rücksicht zu nehmen auf das Gewissen der Mitfeiernden, dann stünden im Augenblick auch sehr viele Babyelefanten mit uns im Kreis und es wäre verantwortungslos aus demselben Kelch zu trinken und einander an den Händen zu halten. Sind wir deshalb keine richtige Gemeinschaft mehr? Nun. Ich denke, das hängt von unserer Einstellung ab. Wenn wir die Anwesenheit Jesu im Abendmahl spüren können, weil wir uns ihm zugehörig fühlen, warum sollte es dann nicht möglich sein, uns miteinander verbunden zu fühlen, auch ohne das übliche Abendmahlsprocedere? Und auch wenn uns im Augenblick das „social distancing“ zu schaffen macht, so macht Christus doch aus vielen unterschiedlichen Menschen eine Gemeinde und kein noch so fieses Virus kann etwas daran ändern! Amen. Lied: Evangelisches Gesangbuch 45, 1 und 3: Herbei, o ihr Gläub’gen1) Herbei, o ihr Gläubigen, 3) Kommt, singt dem Herren, Gebet:Du, Gott, bist da Gott, du bist Mensch geworden. Gott, du hast unter uns gewohnt. Unser Vater im Himmel … Segen:Der Herr segne dich und behüte dich, Postludium: Johannes Wolfram: Improvisation Mit freundlicher Genehmigung des Komponisten. |