Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 25. Oktober 2020
mit Robert Colditz


Präludium: Johannes Wolfram: Improvisation

Mit freundlicher Genehmigung des Komponisten.

Spruch:

Lassen wir uns grüßen von einer Selbstaussage Gottes, überliefert vom Propheten Hosea, im 14. Kapitel, Vers 9b:

„Ich bin wie üppiger Wacholder, an mir ist Frucht für dich zu finden.“

Begrüßung:

Wenn Gott sich mit einem Baum vergleicht, sollten wir uns wohl öfters mit der Bedeutung von Bäumen für uns beschäftigen. So lasst uns dies nun tun, denn wir feiern im Namen Gottes, des Schöpfers, der uns den Lebensbaum aufsprießen hat lassen, des Mitmenschen, der für uns am Holz des Kreuzes gelitten hat und der heiligen Geistkraft, die uns immer wieder erfrischend überrascht.
Amen.

Gebet:

Lasst uns beten mit den Worten des 92. Psalms:
1 Ein Psalm. Ein Lied für den Sabbattag.
2 Gut ist es, den HERRN zu preisen und deinem Namen, Höchster, zu singen,
3 am Morgen deine Güte zu verkünden und deine Treue in den Nächten,
4 zur zehnsaitigen Laute und zur Harfe, zum Klang der Leier.
5 Denn du hast mich erfreut, HERR, durch dein Walten, über die Werke deiner Hände juble ich.
6 Wie gross sind deine Werke, HERR, wie tief deine Gedanken!
7 Ein Narr, der es nicht erkennt, ein Tor, der es nicht begreift.
8 Auch wenn die Frevler wie Unkraut wuchern und alle Übeltäter blühen, sie werden vernichtet für immer.
9 Du aber, HERR, bist in der Höhe auf ewig.
10 Denn sieh, deine Feinde, HERR, sieh, deine Feinde müssen vergehen, und alle Übeltäter werden zerstreut.
11 Doch du hast mein Horn erhoben wie das eines Wildstiers, du hast mich mit frischem Öl übergossen.
12 Mit Lust blickt mein Auge auf die, die mich belauern, hören meine Ohren vom Geschick der Übeltäter, die gegen mich aufstehen.
13 Der Gerechte sprosst wie die Palme, er wächst wie die Zeder auf dem Libanon.
14 Gepflanzt im Haus des HERRN, blühen sie auf in den Vorhöfen unseres Gottes.
15 Noch im Alter tragen sie Frucht, bleiben saftig und frisch,
16 um kundzutun: Gerecht ist der HERR, mein Fels, und an ihm ist kein Unrecht.
Amen.

Lied: „Freunde, dass der Mandelzweig“ (Freitöne 177, 1,2,4).

Aus rechtlichen Gründen können wir hier weder Text noch Melodie wiedergeben. Sie können dies aber leicht in Internet finden. (Text: Shalom Ben Chorim (1913-1999) 1942 (zu Jer 1,11b))

Predigttext: Ex 25, 31-34:

31 Dann mache einen Leuchter (Anm. RC: das hebräische Wort ist Menorá) aus reinem Gold. Als getriebene Arbeit aus einem Stück soll der Leuchter gemacht werden, sein Fuß und sein Schaft, seine Kelche, Knäufe und Blüten.
32 Und sechs Arme gehen von seinen beiden Seiten aus, drei Arme des Leuchters auf der einen Seite und drei Arme des Leuchters auf der anderen Seite.
33 Drei mandelblütenförmige Kelche sind an dem einen Arm, mit Knauf und Blüte, und drei mandelblütenförmige Kelche an dem anderen Arm, mit Knauf und Blüte. So ist es bei den sechs Armen, die von dem Leuchter ausgehen.
34 Und am Leuchter sind vier Kelche, mandelblütenförmig, Knäufe und Blüten.

Liebe Schwestern und Brüder!

Gehört Respekt vor Bäumen zum christlichen Glauben? Vor Mitmenschen ist das ja klar, aber vor Bäumen? Eine verneinende Antwort legt sich nahe, wenn wir an das Fällen heiliger Bäume durch Missionare in Europa denken. Andererseits haben Bäume in der Bibel eindeutig eine besondere Bedeutung. Welche Bedeutung haben Bäume in Bezug auf Gott und in Bezug auf uns?

Vielen von uns dürfte es nicht bekannt sein, dass im tragbaren Heiligtum, wie auch im Allerheiligsten im Tempel in Jerusalem quasi ein Baum stand: der goldene Leuchter mit 22 Mandelblüten. Bekannter ist wohl der Baum des Lebens im Garten Eden am Anfang der Bibel. Im letzten Kapitel des letzten Buches der Bibel sind es dann viele Bäume des Lebens im neuen Jerusalem. Viele Kulturen kennen die Vorstellung eines Lebensbaumes, der die Schöpfung darstellt und zusammenhält. So begegnet Gott Menschen auch in der Bibel in oder bei einem Baum. Schade, dass es in der europäischen Geschichte nicht zu einer Verknüpfung oder wie man heute sagt „Inkulturation“ biblischer Theologie mit den bzw. in die indigenen Kulturen der keltischen, germanischen und slawischen Waldvölker gekommen ist. Wenn Mose Gott zum ersten Mal begegnet, ist es aufgrund der geografischen Lage nicht in einem Wald, aber in einem Dornbusch, weil es eben in der Wüste ist. Bei Abraham und Gideon sind es Eichen. Bei Hosea identifiziert Gott sich mit einem Wacholderbaum. Auch Elia hatte eine Gottesbegegnung unter einem Wacholderbaum. Und in Psalm 92 erfahren wir, dass in den Vorhöfen des Tempels wohl Dattelpalmbäume standen. Im Tempel selbst war es dann eben quasi ein Mandelbaum. Der Mandelbaum ist, weil er im Jahreslauf der erste blühende Baum ist, Zeichen für Gottes Wachsamkeit und Zuverlässigkeit. Auch Aaron und Jeremia haben Gottesbegegnungen im Zusammenhang mit Mandelbäumen.

Der biblische Glaube warnt zwar andererseits vor religiösen Praktiken bei Bäumen, sieht aber gleichzeitig in Bäumen auch Zeichen für Gott. Es kommt eben darauf an, welcher Gott in oder bei den Bäumen verehrt wird. Eine egoistische, Opfer für die Verleihung von Fruchtbarkeit verlangende Gottheit oder eine vergebende und Früchte teilende Gottheit. Aktuelle Erkenntnisse der Naturwissenschaften legen übrigens nahe, dass Bäume selbst nicht zum Egoismus, sondern zur Solidarität neigen. Wohl auch deswegen identifizieren sich Gott mit dem Wacholder und Jesus mit dem Weinstock.

Die Bäume der Bibel sind also durchaus Botschafter Gottes. Und am Ende werden laut Offenbarung des Johannes die Blätter der Lebensbäume in der Waldstadt Jerusalem die Völker heilen. Dieses Heilmittel steht uns aber auch jetzt schon zur Verfügung. Wenn wir, wie Palmen und Zedern, über unser Ego hinauswachsen, indem wir den Weisungen Gottes folgen. Bäume sind aber nicht nur ein Sprachbild, das in der Bibel oft verwendet wird, sondern auch Mitgeschöpfe. Auch als solche verdienen sie unseren Respekt. Aber so wie die Anerkennung der Menschenwürde leider nicht selbstverständlich ist, ist es auch bei der Anerkennung der Würde der Mitschöpfung. Für die, die Besonderheiten eines Urwalds aus eigener Erfahrung schätzen, kaum vorstellbar, aber nicht jeder ist gleich beeindruckt von den Resten von Urwäldern, die es in Europa gerade noch gibt. Obwohl auch von ihnen heilende Wirkung ausgeht, sowohl auf unser Immunsystem, wie auch auf unsere Seele – und damit auch auf unsere Beziehung zu Gott und unseren Mitmenschen. Es ist fast nichts mehr da von den europäischen Urwäldern, obwohl wir doch von Gott angewiesen sind unsere Mitschöpfung nicht nur zu bebauen, sondern auch zu bewahren. Dieses Verhältnis ist völlig außer Gleichgewicht geraten, um das rechte Maß zu finden, brauchen wir dringend mehr unberührte Natur, also in unseren Breiten: unberührten Wald.

Und so täte es uns also gut, uns immer wieder unsere Verbindung, sowohl zu Bäumen – als wichtiger Teil unserer Mitschöpfung –, als auch zu Gott und unseren Mitmenschen zu vergegenwärtigen. Genau das passierte im Tempel, wenn sich die Menschen beim mandelblütenförmigen Leuchter vor Gott versammelten, nachdem sie durch die Dattelpalmenbewachsenen Vorhöfe gegangen waren. Wir haben keine Vorhöfe bei unserer Kirche, jedoch bald einen Obstbaum am Wienerberg, für den wir als Gemeinde Verantwortung übernehmen und der uns und viele andere erinnern wird an unsere Beziehung zum Schöpfer und an Gottes Weisung miteinander zu teilen, so wie die Bäume ihre Früchte mit uns teilen. Durch den Respekt vor Gott, den Mitmenschen und der Mitschöpfung wird unsere Verbindung untereinander gestärkt und kann das wachsen, was Jesus „Reich Gottes“ nennt – als Vorbild dafür nimmt er übrigens auch: einen Baum!
Amen.

Gebet: Lasst uns beten:

Gott, Du hast uns als Adam-Wesen, als Erdlinge geschaffen, als Verbinderinnen und Verbinder zwischen Deiner guten Erde und Dir – bitte vergib uns, wo wir dem nicht gerecht geworden sind und gib uns Deine Geistkraft, damit wir entdecken, wozu Du uns berufst.

Danke, dass Du die Bäume geschaffen hast, die uns ein Vorbild geben für Verwurzelung, Geduld, Standfestigkeit, Beschützen und Fruchttragen. Danke, dass die Wälder uns so viel Gutes tun und so viel heilsame Kräfte haben. Lass uns unsere Verantwortung für sie erkennen und leben. Wir danken und beten für die Mitmenschen, die sich auch unter Einsatz ihres Lebens für den Schutz von Wäldern einsetzen.

Lass uns wach sein für das Leben, wie der Mandelbaum als erster seine Blüten entfaltet, wach für Dich und alle Zeichen Deiner Liebe. Hilf uns zu erkennen, wo wir Mitmenschen und Mitgeschöpfen helfen können, wie wir Frucht tragen, in welcher Lebenslage und welchem Alter wir auch selbst sind.

Lass uns, bevor wir weitergehen, ganz ruhig und still werden vor Dir…

…und alles was uns trotzdem noch beschäftigt, nehmen wir mit, wenn wir mit den Worten Deines großen Verbinders und Heilers beten:

Unser Vater im Himmel, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Abkündigungen:
Segen:

Seid gesegnet mit dem Segen, mit dem schon Aaron segnete:

Der Herr segne Dich und behüte Dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über Dir und sei Dir gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht auf Dich und schenke Dir Frieden.
Amen.

Postludium: Johannes Wolfram: Improvisation

Mit freundlicher Genehmigung des Komponisten.