Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 31. Oktober2020
mit Pfr. Johannes Wittich – Reformationstag


Orgelvorspiel: Juliane Schleehahn:
Spruch: Psalm 27, 1:

Der Herr ist mein Licht und meine Rettung, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Zuflucht, vor wem sollte ich erschrecken?

Begrüßung:

Vor wem sollte ich erschrecken? Befreiung von Angst – das war ein Grundgedanke, ja ein Grundziel der Reformation, die wir heute bedenken. Befreiung von Angst vor Gott, eingebläut den Menschen durch eine irregeleitete Kirche und ihre Vertreter. Damit verbunden aber auch Befreiung von Angst vor dem Leben, den Menschen, der Zukunft. Wer Gott als den Liebenden und Verstehenden erkennt, der bekommt auch den Mut, das Leben in die Hand zu nehmen und zu gestalten.

Weil Gott dabei auf unserer Seite ist, und begleitet und uns hilft. Dankbar feiern wir wieder in seiner Gegenwart, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Psalm 27: Der Herr ist mein Licht und meine Rettung,
vor wem sollte ich mich fürchten?
Der Herr ist meines Lebens Zuflucht,
vor wem sollte ich erschrecken?
2 Dringen Übeltäter auf mich ein,
mich zu zerfleischen,
meine Gegner und meine Feinde,
sie müssen straucheln und fallen.
3 Mag ein Heer mich belagern,
mein Herz fürchtet sich nicht;
mag Krieg sich gegen mich erheben,
bleibe ich doch voll Zuversicht.
4 Eines nur habe ich vom Herrn erbeten,
dies eine begehre ich:
zu wohnen im Hause des Herrn
alle meine Tage,
zu schauen die Freundlichkeit des Herrn
und nachzusinnen in seinem Tempel.
5 Denn er birgt mich in seiner Hütte
am Tage des Unheils,
er beschirmt mich im Schutz seines Zeltes,
hebt mich empor auf einen Felsen.
du Gott meiner Rettung.

Gebet:

Guter Gott,
manches haben wir übersehen in diesen Tagen.
Viele unnötige Worte haben wir gesprochen.
Oft sind wir gleichgültig geblieben
oder haben bewusst weggeschaut,
wenn etwas so gar nicht in deinem Sinne war.
Wie oft, gütiger Gott, vergessen wir dich
und deine Mahnungen zum rechten Leben.
Wir bitten dich:
vergib, was uns schuldig macht.
Denn trotz allem Versagen
spricht du uns auch heute wieder zu:
„Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein!“
Darum nehmen wir mit Freude deine Gnade an
und sind dir dankbar.
Du bist uns nah
und doch fern zugleich.
Manchmal wissen wir genau,
was du von uns erwartest
und manchmal können wir es nur erahnen.
So müssen wir oft Grenzen überschreiten,
um den Mitmenschen zu finden.
Mach uns offen und mutig,
und lass uns jetzt wieder auf dein Wort hören,
wenn wir uns in deinem Namen versammeln.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 288, 1,4: Nun jauchzt dem Herren, alle Welt

1.) Nun jauchzt dem Herren alle Welt!
Kommt her, zu seinem Dienst euch stellt,
kommt mit Frohlocken, säumet nicht,
kommt vor sein heilig Angesicht.

4.) Die ihr nun wollet bei ihm sein,
kommt, geht zu seinen Toren ein
mit Loben durch der Psalmen Klang,
zu seinem Vorhof mit Gesang
.

Predigt: Mt. 8, 1-4

1 Als er vom Berg herabstieg, folgten ihm viele Leute.
2 Und da kam ein Aussätziger auf ihn zu, warf sich vor ihm nieder und sagte: Herr, wenn du willst, kannst du mich rein machen!
3 Und er streckte die Hand aus, berührte ihn und sprach: Ich will es, sei rein! Und auf der Stelle wurde er von seinem Aussatz geheilt.
4 Und Jesus sagt zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring die Opfergabe dar, die Mose angeordnet hat – das soll ihnen ein Beweis sein.

Liebe Gemeinde!

Ein netter Cartoon, den ich vor kurzem gesehen habe: ein Ehepaar sitzt auf dem Sofa. Er: „Ich halte das Jahr 2020 nicht mehr aus. Ständig das selbe Thema!“ Daraufhin sie: „Genau, finde ich auch. Wo man hinschaut, ständig nur: Beethoven, Beethoven, Beethoven!“.

Ja, 2020 ist auch das Beethoven-Gedenkjahr. Am 17. Dezember wird er seinen 250. Geburtstag feiern. Trotz der Covid-19-Pandemie ist versucht worden, zumindest noch einen Teil der geplanten Jubiläumsfeierlichkeiten stattfinden zu lassen, und das mit viel Engagement.

Trotzdem: Covid-19 ist heuer das tatsächlich bestimmende Thema. So bestimmend, dass das Wien Museum bereits begonnen hat, Gegenstände und Dokumente zu sammeln, mit denen man dann in ein paar Jahren eine Ausstellung zum Jahr 2020 gestalten wird können.

Ja, es ist schon ein spannende Frage: Was werden wir in einem Jahr, in 5 Jahren, in 10 Jahren oder in 20 Jahren zu erzählen haben über 2020? Welche Erinnerungsstücke herzeigen? Eines ist sicher: es werden vor allem Masken sein, der MNS, der Mund-Nasen-Schutz. Von vielen weitgehend akzeptiert, von manchen kritisch beurteilt, von, zum Glück nur Wenigen, radikal abgelehnt.

Heute ist Reformationstag. Erinnerung an einen Moment in der Kirchengeschichte, wo das Wesentliche unseres christlichen Glaubens wieder entdeckt worden ist: die bedingungslose Liebe Gottes zu einem jeden Menschen. In dem dann aber auch klar geworden ist, vor allem dann auch bei den Reformatoren unserer Kirche H.B., dass die Liebe Gottes zu uns auch Verantwortung mit sich bringt. Nämlich den Auftrag zur Nächstenliebe, zum Suchen nach dem, was meine Mitmenschen nötig haben und brauchen.

Verantwortung – auch und besonders gefragt in dieser Zeit jetzt. Politiker richten Appelle an die Bevölkerung, eigenverantwortlich zu handeln. Christinnen und Christen brauchen keine Apelle. Wir wissen, was zu tun ist. Vielleicht nicht immer ganz genau und bis ins Detail, aber die Grundhaltung, die ist klar: Verantwortung zu übernehmen ist ein Zeichen der Dankbarkeit Gott gegenüber. Wir wissen, dass er will, dass es uns gut geht. Wir haben das ja auch immer wieder erlebt und erleben es immer wieder. Dann kann man gar nicht anders, als zu tun, was möglich ist, damit es auch anderen gut geht.

„Martin Luther hätte Maske getragen“, hat der Bischof unserer lutherischen Schwesterkirche, Michael Chalupka, vor kurzem in einem Text geschrieben. Das Bild, das ich am Eingang aufgehängt habe, greift dieses Motiv auf: der Reformator Martin Luther, seine Frau Katharina von Bora, beide mit „MNS“. Denn Luther hat tatsächlich über die Pandemie der damaligen Zeit, die Pest gemeint, dass er sich so verhalten möchte, damit, Zitat, „nicht durch meine Nachlässigkeit (bei Anderen) eine Ursache des Todes entsteht.“ In der Folge hat sich Martin Luther in der Zeit der Pest selbst einen Lockdown mit Kontaktverbot verordnet. So schaut christliche Verantwortung aus.

Ganz anders der Umgang mit ansteckenden Krankheiten in unserer biblischen Geschichte. Es geht um eine andere Geißel der Menschheit: die Lepra, auch Aussatz genannt. Bis heute ist in unserem Sprachgebrauch ein „Aussätziger“ einer, mit dem man nichts zu tun haben will. Das war über Jahrhunderte das Präventionskonzept im Falle einer Lepra-Infektion: der Betroffene wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, muss schauen, wo er bleibt, ja, sogar rechtzeitig und lautstark warnen, wenn ein Gesunder im nahe tritt.

Ein solcher Mensch wird in der Geschichte von Jesus geheilt. „Social distancing“ für eine bestimmte Zeit, weil es nötig ist, um die Infektionszahlen zu senken, macht Sinn, auch wenn es nicht leicht fällt. Zum „social distancing“ auf Lebenszeit verurteilt zu sein, ist eine Katastrophe. Aber genau so wurde in der Vergangenheit mit Leprakranken umgegangen.

Leprakranke wurden auf Abstand gehalten, damit man sich nicht mit ihnen befassen musste. Aus den Augen, aus dem Sinn. Kein „social distancing“ wie es Luther meinte: ich will nicht, dass durch meine Fahrlässigkeit jemand krank wird. Sondern eine Distanz, die nur und ausschließlich garantieren soll, dass es mir gut geht.

Jesus durchbricht diese Logik und Strategie der damaligen Zeit. Er weiß um seine Verantwortung: wenn ich etwas für diesen Menschen tun kann, dann tu ich das auch. Wenn ich die Kraft zum Heilen habe, dann heile ich auch. Und: danach soll der Geheilte zum Priester gehen. Einerseits, weil die Torah, das jüdische Gesetz bestimmte Rituale fordert, denen sich ein gerade Geheilter zu unterziehen hat. Aber auch, damit im Tempel alle mitkriegen: Gott will Menschen heil machen, damit sie wieder ganz dazu gehören.

Die Lepra ist heute, zumindest bei uns, kein Thema mehr. Das ist übrigens nicht nur, aber auch, genau dem Robert Koch zu verdanken, der Namensgeber des in diesen Tagen immer genannten virologischen Instituts ist. Die Naturwissenschaften können ganz sicher nicht auf Alles eine Antwort geben, und Vieles im Zusammenhang mit der Pandemie jetzt ist noch ungeklärt. Aber eines dürfen wir nicht vergessen: die Reformation hat den Weg dafür bereitet, abstruse Meinungen über die Ursache böser Dinge, heute würde man sagen: „Verschwörungstheorien“, aus dem Mittelalter hinter sich zu lassen und mit Vernunft und Besonnenheit die Dinge anzugehen.

Weil Angst kein guter Ratgeber ist. Und wir Christinnen und Christen unsere Ängste bei Gott gut aufgehoben wissen. Das macht frei, den Kopf, die Seele und das Herz. Denn: Der Herr ist mein Licht und meine Rettung, vor wem sollte ich mich
fürchten? Der Herr ist meines Lebens Zuflucht, vor wem sollte ich erschrecken? Amen.

Gebet: 

Ewiger Gott,
deine Gebote wollen nicht einschränken,
sondern uns zu einem Leben in Liebe befreien.
Deine Gebote wollen das Leben deiner Menschen
in Würde gestalten.

So bitten wir dich: Wenn wir nicht mehr an den Frieden
und dein Reich glauben:
Hilf unserem Unglauben.

Wenn unsere Hoffnung uns verlässt:
Beflügele uns durch deinen Heiligen Geist.

Wenn wir lieblos werden
und nur an unseren Vorteil denken:
Erinnere uns an die Nähe,
die du jedem Menschen schenkst.

Wenn unsere Angst uns traurig macht:
Breite Mut und Zuversicht unter uns aus.
Verleihe der Hoffnung Flügel an jedem Tag.
Amen.

Unser Vater im Himmel …

Abkündigungen:
Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

 

Orgelnachspiel: Juliane Schleehahn: