Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, 5. Juli 2020
mit Pfr. Johannes Wittich
Orgelvorspiel: Juliane SchleehahnSpruch: Lukas, 19,10:Denn der Menschensohn ist gekommen zu suchen und zu retten, was verloren ist. Begrüßung:Wir müssen nicht suchen im Leben und im Glauben – wir wurden bereits gefunden. Weil Gott uns sucht und findet – immer wieder neu. Das ist der Kern unseres Glaubens. Das gibt Sicherheit und macht Mut. Unsere Leistung zählt nicht – Gott sei Dank. Alles, was zählt, ist Gottes Liebe. Die ist da. In der Gegenwart Gottes dürfen wir feiern, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen Gebet:Guter Gott, Lied: Evangelisches Gesangbuch, 346, 1-3: Such, wer da will, ein ander Ziel1) Such, wer da will, ein ander Ziel, 2) Such, wer da will, Nothelfer viel, 3) Ach sucht doch den, lasst alles stehn, Predigt: Micha 7, 18-2018 Wer wäre ein Gott wie du, der Schuld vergibt und hinwegschreitet über Vergehen für den Rest seines Erbbesitzes? Nicht für immer hält er fest an seinem Zorn, denn er hat Gefallen an Gnade! Liebe Gemeinde! „Unsere Schuld wird er niedertreten!“ Was für ein Bild von Gott! Und das 700 Jahre vor Jesus. Ja, dieses Bild vom „alttestamentlichen Rachegott“, der angeblich erst im Neuen Testament zum Gott der Liebe wird, ist einfach falsch. Tut unseren jüdischen Geschwistern zutiefst Unrecht. Wird trotzdem aber immer wieder als Klischee ins Treffen geführt. So auch vor Kurzem in einem Interview mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Der wurde da nach seinem Lieblingszitat aus der Bibel gefragt. Trump hat es abgelehnt, eine Antwort zu geben. Die Frage sei zu persönlich. Der Reporter daraufhin, schon ein bisschen verzweifelt: Okay, aber sind sie mehr der alttestamentliche oder der neutestamentliche Typ. Wieder natürlich aus der falschen Vorstellung heraus: Altes Testament: strenger, strafender Gott, Neues Testament: liebender, verzeihender Gott. Donald Trump daraufhin: ich bin beides. Das erstaunliche, ja völlig unerwartete ist: dieser Satz ist aus christlicher Sicht theologisch richtig. Für uns gilt beides: das „Alte“ wie das „Neue“ Testament, das erste wie das zweite, die hebräische Bibel wie die griechische. Auch in Bezug auf das jeweilige Gottesbild: das Alte Testament mit dem Gott der Gebote, der Gerechtigkeit, des Zorns, wenn nicht nach seinem Willen gehandelt wird, und dem wieder und wieder aufgebrachtem Bemühen, seine Menschen wieder zurück zu holen auf den rechten Weg, zurück in den Bund, den er mit ihnen geschlossen hat, durch Gnade, Vergebung, Verzeihen. Und das Neue Testament, mit Jesus, der zur Person gewordenen Botschaft von der unendlichen Liebe Gottes, aber eben auch mit eindeutigen „Sagern“, wer alles nicht in den Himmel kommen wird. Beides gehört untrennbar zusammen, vom Anbeginn der Welt sozusagen. Mit dem großartigen Geschenk des Garten Eden für die ersten Menschen. Und der Verstoßung aus dem selben, nachdem die Menschen mit dem Geschenk nicht umzugehen wissen. „Simul justus et pecator“, hat das Martin Luther auf den Punkt gebracht, zugleich Gerechtfertigter und Sünder. Das sind wir alle. Das ist auch dem Propheten Micha klar. Wie alle Propheten der Bibel weiß er, was er selbst, seine Mitmenschen, sein Volk, dessen politische Elite, besonders der König alles verbockt haben. Ein Volk, von Gott auserwählt, mit einzigartigen Chancen und Möglichkeiten, eine Gemeinschaft zu bilden, nach Gottes Vorgaben, zum Wohle von Allen. Was wird daraus? Ein Tummelplatz für Egoismus, Profitdenken, Überheblichkeit, knallharte Konkurrenz. Damals vor über zweitausend Jahren. Heute, wie wir wissen, ist es nicht anders. Und schon damals ist klar: es ist nicht mehr gut zu machen. Wenn wir wollten, dass Gott uns wieder ernst nimmt, dann müssten wir so viel an Wiedergutmachung anbieten, das es eigentlich gar nicht zu schaffen. Opfer um Opfer müsste man bringen, so wie bei den Göttern der anderen Völker rings um das Volk Gottes herum. Da hat der Prophet Micha die große Einsicht: unser Gott ist anders! Keiner ist so wie er. Unser Gott will vergeben, einen Neuanfang möglich machen. Unser Gott trampelt auf unserer Schuld herum, um sie zu zerstören, obwohl er eigentlich auf uns deswegen böse sein müsste. Unser Gott will und braucht keine Opfer, er pfeift drauf. Unser Gott steht zu seinem Wort: ich liebe euch, meine Menschen! Ich will das Beste für euch. Und damit ihr das Beste bekommt, sehe ich über alle eure Fehler hinweg. Das galt damals für die Israeliten, für das Gottesvolk, mit dem Gott seinen Vertrag, seinen Bund abgeschlossen hatte. Das gilt auch für uns heute, die wir durch Christus, durch die Taufe, in diesen Bund hineingenommen werden. Es gilt auch für uns. Nur: brauchen wir das? Die Israeliten damals hatten Angst vor der Strafe Gottes, für das, was sie falsch gemacht hatten. Für sie war es unglaublich tröstlich und befreiend, zu erfahren: unser Gott zürnt uns nicht mehr, er will Gnade, und er schenkt sie uns auch. Haben wir auch das Gefühl, dass wir Gottes Verzeihen brauchen? Ist das überhaupt noch Teil unseres Denkens, Teil unseres Selbstverständnisses? Sehen wir einen Bruch mit Gott, der gekittet gehört? Oder ist es nicht eher so, dass wir uns der Liebe Gottes so gewiss sind, dass wir nicht mehr ständig darüber nachdenken, ob wir sie auch verdient haben oder doch eher nicht? Wenn das so ist, dann ist es gut so. Wenn wir mit der Gnade Gottes uneingeschränkt rechnen, und uns daher nicht mehr fürchten. Schlecht ist nur, wenn wir die Gnade Gottes für selbstverständlich halten. Dietrich Bonhoeffer hat das die „billige Gnade“ genannt, „Gnade als Schleuderware“. Heute würde man sagen: Gnade vom Diskonter. Kost nix, aber taugt auch nix. Nein, das Bewusstsein, einen liebenden, verzeihenden Gott zu haben, der uns annimmt, wie wir sind, das bringt uns immer wieder zum Staunen. Der uns akzeptiert, wenn andere uns nicht akzeptieren. Und der uns besonders dann mag, wenn wir gerade wieder einmal mit uns selbst nicht zurecht kommen. Denn das Vieles auch bei uns nicht in Ordnung ist, das wissen wir. Wir haben, wie die Israeliten, das Geschenk der Gnade, wir stehen wie sie im Bund mit Gott, aber was machen wir daraus? Ich denke, wo immer wir die Notwendigkeit sehen, etwas zu verändern, tun wir das nicht aus Angst vor Strafe. Sondern im Bewusstsein der Gnade, in der wir schon stehen. Die Ansporn ist, Verantwortung zu tragen. „Wer wäre ein Gott wie du?,“ fragt der Prophet Micha. Und weiß: so einen Gott gibt es kein zweites Mal. Ein Gott, der nicht auf seinem Recht als Gott besteht. Sondern darauf verzichtet, wenn es seinen Menschen hilft. Ein Gott, der menschlich handelt. Und damit uns zeigt, was wirklich menschlich ist. Verzeihen, vergeben, aufbauen, aufrichten, Neuanfang möglich machen. Immer wieder. Amen. Gebet:Guter Gott, Unser Vater … Abkündigungen:Segen:Der Herr segne dich und behüte dich, Klaviernachspiel: Juliane Schleehahn: Improvisation
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