Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 16. Jänner 2022,
2. Sonntag nach Epiphanias
mit Pfr. Andreas Fasching,
Kanzeltauschgottesdienst mit Perchtoldsdorf
Orgelvorspiel: Martin A. SeidlLied: Evangelisches Gesangbuch, 70,1+4: Wie schön leuchtet der Morgenstern1.) Wie schön leuchtet der Morgenstern, 4.) Von Gott kommt mir ein Freudenschein, Eingangsvotum und Begrüßung:Wir feiern Gottesdienst Herzlich willkommen zum Gottesdienst! Der heutige Sonntag führt uns vor Augen, wie vernetzt alles ist: Menschen, Welt und Gott. Dorothee Sölle hat in diesem Sinn Religion einmal beschrieben als „the business of belonging“. Gegen alle Vereinzelungstendenzen, die so farbenprächtig und aufdringlich daherkommen. Zu-gehörig werden. Nicht allein dastehen. Verbunden sein – einander und Gott. An ihn wenden wir uns im Gebet: Gebet:Du treuer Gott, Schriftlesung: In ihm leben, weben und sind wir (Apg 17,24-28)24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darinnen ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. 25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. 26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, 27 dass sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. 28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.. Predigtlied: Evangelisches Gesangbuch, 271,1+4+8: Wie herrlich gibst du, Herr, dich zu erkennenPredigt: Vom Gewebe der Welt (1.Korinther 2,1-10)Ich geh doch immer auf dich zu In diesen Zeilen von Rainer Maria Rilke leuchten die wahren Fragen am Beginn eines neuen Jahres auf: Wo gehöre ich hin? Werde ich gesehen? Darf ich sein? Gehöre ich dazu? Diese Fragen kann ich mir nicht selbst beantworten. Eine Antwort lese ich bei Paulus im 1.Korintherbrief: 1 Als ich zu euch kam, meine Geschwister, Die Antwort des Paulus heißt also: weder Jugend noch Schönheit, weder Bildung noch Erfolg, weder Herkunft noch Vernetzung, weder Gewandtheit noch Überzeugungskraft, weder Selbstbehauptung noch Auftritt und auch nichts anderes ist Voraussetzung, Zugangsvoraus-setzung zu Gott. In unseren Zeiten der permanenten Selbstoptimierung ist es heilsam, zu hören, dass es einen gibt, der immer schon bedingungslos ganz auf meiner Seite ist. Paulus bringt seine Botschaft durch eine dreifach negative Formulierung zum Leuchten. Er zitiert aus dem Prophetenbuch Jesaja: Was kein Auge sah und kein Ohr hörte Mit diesen Worten erinnert Paulus daran, dass die Quellen, aus denen ich Erkenntnis und Sinn schöpfe, nicht unbegrenzt sind. Ich kann mit Augen sehen, mit Händen tasten, kann riechen und aus der Natur empirisches Wissen erlangen. Ich kann hören und lesen, was andere Menschen erleben, was frühere Generationen gedacht haben. Ich kann mit dem Herzen manches erahnen, habe sehnsüchtige und ängstliche Gefühle. Aber das Geheimnis Gottes kann ich auf diesem Weg nicht ergründen. Und weh denen, die meinen, Gott in der Hand zu haben, und exakt zu wissen, wie und wer er sei. Ich lasse Gott Gott sein und forme ihn nicht nach meinen Bildern und Vorstellungen. Und dem entspricht das andere, das Paulus festhält: Auch wir Menschen sind im Letzten unergründlich. Niemand kann ein endgültiges Urteil über jemand anderen Fällen und sagen, ob du vertraust und liebst und aufrichtig bist oder nicht. Das ist der Respekt vor dem Gewissen, vor dem Innersten einer jeden und eines jeden. Und das bedeutet sich kein endgültiges Bild voneinander zu machen und festgefahrene Bilder loszulassen. Eine Entdeckungsreise zu beginnen und kreativ neue Seiten aneinander kennenzulernen. Dann kannst du und kann ich so sein und werden, wie Gott uns von Anfang an gemeint hat: verbindlich und frei. Und diese zweifache Unergründbarkeit – die des Menschen und die Gottes, die bedingen einander. Nur Gottes Geistkraft ergründet alles. Und damit stoßen wir zum Kern unseres Glaubens vor. Denn der Glaube ist ja kein transzendentes Versicherungspaket. Er ist das Gegenteil einer Versicherung. Er ist eine ständige Verunsicherung, ohne die ich kein Vertrauen nötig hätte. Glaube ist das immer wieder neu gelebte Vertrauen in das Leben. Und weil sich das Leben jeden Augenblick ändert, muss auch das Vertrauen jeden Augenblick erneuert werden. Und das Leben ist – mit David Steindl-Rast gesprochen – „das Gewebe der Welt und der Menschheit“. Dieser faszinierende bildhafte Gedanke des US-amerikanischen Benediktinermönchs lässt mich Glauben als ein gelebtes Ja zu gegenseitiger Zugehörigkeit verstehen. Und solange ich irgendjemanden aus dem Kreis der Zugehörigkeit ausschließe, füge ich dem Gewebe der Welt und der Menschheit einen Riss zu. Nur wo mein Zugehörigkeitsgefühl allumfassend ist, wirkt Gottes Geistkraft und bin ich nicht von Gott abgeschnitten. In so einem Gewebe weiß ich mich gesichert, obwohl im Letzten weder Menschen noch Gott ganz und gar begreifbar sind. Dieses Unbegreifliche ist zugleich unaussprechlich. Aber ich kann es erfahren, indem ich mich davon ergreifen lasse – ohne es dadurch in den Griff zu bekommen. Paulus hat das an anderer Stelle wunderschön ausgedrückt durch den Satz (Apg 17,28a): In Gott leben wir, weben wir und sind wir. In Gott. In der göttlichen Wirklichkeit. Und die erschließt sich in Jesus, dem Gekreuzigten. Mehr kann ich von Gott nicht sehen als das, was sich im Leben und Sterben dieses Menschen aus Nazareth gezeigt hat. Jesus war ganz transparent. Gott leuchtet durch ihn hindurch, er leuchtet in ihm auf. Jesus ist gekommen, um mich von der falschen Auffassung zu heilen, dass ich von Gott getrennt bin. Sein Kreuzestod hat diese irrige Anschau¬ung vernichtend getroffen. Er ist gleichsam der Archetypus vom gött¬lichen Gewebe, der Einheit von Mensch und Gott, den ich in mir trage. In Gott leben wir, weben wir und sind wir. Amen. Klavierzwischenspiel: Martin A. Seidl: Élévation Nr. 3 von Felix Alexandre Guilmant (1837 – 1911)Fürbittengebet und Unservater:Gott, in Jesus scheint dein Licht auf. Stille Und gemeinsam beten wir: Abkündigungen:Segen:Der Herr segne dich und behüte dich, Lied: Evangelisches Gesangbuch, EG: 379,5: Gott wohnt in einem Lichte5.) Nun darfst du in ihm leben und bist nie mehr allein, Orgelnachspiel: Martin A. Seidl: Vorspiel zu “Uns ist ein Kind geboren” von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) |