Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 30. Jänner 2022
mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelvorspiel: Martin A. Seidl, Improvisation

Mit freundlicher Genehmigung von Martin A. Seidl.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 288, 1-4: Nun jauchzt dem Herren, alle Welt

1.) Nun jauchzt dem Herren alle Welt!
Kommt her, zu seinem Dienst euch stellt,
kommt mit Frohlocken, säumet nicht,
kommt vor sein heilig Angesicht.

2.) Erkennt, dass Gott ist unser Herr,
der uns erschaffen ihm zur Ehr,
und nicht wir selbst: durch Gottes Gnad
ein jeder Mensch sein Leben hat.

3.) Er hat uns ferner wohl bedacht,
und uns zu seinem Volk gemacht;
zu Schafen, die er ist bereit,
zu führen stets auf gute Weid.

4.) Die ihr nun wollet bei ihm sein,
kommt, geht zu seinen Toren ein
mit Loben durch der Psalmen Klang,
zu seinem Vorhof mit Gesang.

Spruch: Jh. 1,16:

Aus seiner Fülle haben wir ja alle empfangen, Gnade um Gnade.

Begrüßung:

Wir feiern heute Gottesdienst als Menschen, die reich beschenkt sind von Gott. Ja, das sind, trotz Allem, was im Augenblick nicht so rund läuft. Manchmal ist uns das ganz klar, manchmal wiederum braucht es einen Anstoß, um uns dessen wieder bewusst zu werden: Wir stehen in der Gnade Gottes.

Ein Gottesdienst kann uns helfen, unser Leben wieder so zu sehen, wie es Gott sieht, in seinem Beschränkt-Sein, aber auch in seinem Beschenkt-Sein, in seiner Einzigartigkeit und Besonderheit, wenn wir gemeinsam feiern, im Namen …

Gebet:

Guter Gott,
wir sind hier,
weil wir deine Nähe suchen,
Du hast Glaube, Liebe und Hoffnung in die Welt gebracht,
die wir so sehr brauchen.
Denn wir lassen uns immer wieder leicht
von unseren Sorgen und Ängsten bestimmen.
Wir lassen uns schnell von dem gefangen nehmen,
was dieser Welt und unserem Leben
an Dunklem und Unheilvollem widerfährt.
Das tragen wir vor dich,
weil wir wissen, dass du uns davon freimachen willst.
Großer Gott,
deine Liebe ist die Kraft, die uns verwandelt.
Wir leben mit dir.
Du schenkst uns neues Anfangen,
lässt unsere Hoffnung wachsen
und stärkst das Vertrauen zu uns selbst,
zu anderen und zu dir.
Schenke uns die alte Zuversicht,
dass du unser Leben in deiner Hand hältst
und es so für andere zum Zeichen deiner Liebe werden kann.
Segne unsere Gemeinschaft,
untereinander und mit dir.
Amen.

Lesung: Psalm 62

1Ein Psalm Davids.
2Zu Gott allein ist meine Seele still,
von ihm kommt meine Hilfe.
3Er allein ist mein Fels und meine Hilfe,
meine Burg, nie werde ich wanken.
4Ihr alle, wie lange wollt ihr morden,
anstürmen gegen einen Mann
wie gegen eine eingestossene Wand,
eine umgestürzte Mauer?
5Sie planen, ihn von seiner Höhe zu vertreiben,
sie lieben den Trug.
Sie segnen mit ihrem Mund,
aber in ihrem Herzen fluchen sie. Sela
6Zu Gott allein sei still, meine Seele,
denn von ihm kommt meine Hoffnung.
7Er allein ist mein Fels und meine Hilfe,
meine Burg, ich werde nicht wanken.
8Meine Rettung ist bei Gott und meine Ehre,
mein schützender Fels, meine Zuflucht ist in Gott.
9Vertraue auf ihn, Volk, zu jeder Zeit.
Schüttet euer Herz vor ihm aus.
Gott ist unsere Zuflucht. Sela
10Nur Hauch sind die Menschen,
Trug die Sterblichen.
Auf der Waage schnellen sie empor,
allesamt leichter als Hauch.
11Vertraut nicht auf erpresstes Gut
und setzt nicht eitle Hoffnung auf Raub.
Wenn der Reichtum wächst,
hängt euer Herz nicht daran.
12Eines hat Gott geredet,
zwei Dinge sind es, die ich hörte:
Bei Gott ist die Macht
13und bei dir, Herr, die Güte,
denn du vergiltst
einem jeden nach seinem Tun
.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 357, 1-3: Ich weiß, woran ich glaube

1.) Ich weiß, woran ich glaube, ich weiß, was fest besteht,
wenn alles hier im Staube wie Sand und Staub verweht;
ich weiß, was ewig bleibet, wo alles wankt und fällt,
wo Wahn die Weisen treibet und Trug die Klugen prellt.

2.) Ich weiß, was ewig dauert, ich weiß, was nimmer lässt;
auf ewgen Grund gemauert steht diese Schutzwehr fest.
Es sind des Heilands Worte, die Worte fest und klar;
an diesem Felsenhorte halt ich unwandelbar.

3.) Auch kenn ich wohl den Meister, der mir die Feste baut;
er heißt der Fürst der Geister, auf den der Himmel schaut,
vor dem die Seraphinen anbetend niederknien,
um den die Engel dienen: ich weiß und kenne ihn.

Predigt zu Röm. 12, 9-18:

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!

Über zwanzig Jahre ist es her, da hat das damalige Presbyterium unserer Gemeinde sich übers Wochenende zu einer Klausur getroffen. Und weil es dabei um ganz Grundsätzliches gegangen ist, um die Frage, wohin wir uns längerfristig bewegen wollen, haben wir uns damals einen Berater geholt. Dieser hatte zuvor noch nie mit einer Kirche zusammengearbeitet, sondern vielmehr mit Firmen und Betrieben, die sich nach innen und außen neu positionieren wollten.

Wenig überraschend hat er uns den Tipp gegeben, als ersten Schritt zu überlegen, wer wir eigentlich sind und wie wir uns als Team oder Gemeinde selbst sehen oder verstehen. Mit anderen Worten: wir sollten ein Leitbild für unsere Erlöserkirche entwickeln. Zunächst waren wir damit ein bisserl überfordert. Wie macht man so was, wo fängt man an damit? Darauf die ein wenig überraschte Antwort des Beraters: Sie haben doch schon schriftlich festgelegte Grundsätze für ihre „Firma“. Sie haben doch die Bibel, oder?

Ach ja, die Bibel. Fast hätten wir es vergessen! Nein, im Ernst: es war schon erstaunlich, dass jemand, der wie gesagt, aus einem ganz anderen Umfeld gekommen ist, davon ausgegangen ist: inhaltlich, wie wir uns selbst sehen und wofür wir stehen, dafür braucht es bei einer Kirche keine Beratung. Das werden wir ja hoffentlich wissen!

Ganz so einfach ist es wohl doch nicht, wir wissen es; schließlich gibt es in einer Gemeinde, besonders in einer reformierten, ganz bewusst verschiedene Meinungen und Zugänge. Das als gut und als Bereicherung zu empfinden, ist nicht immer einfach, aber letztlich unverzichtbar: wir verstehen uns ja als „ecclesia semper reformanda“, als Kirche, die immer wieder am Wort Gottes reformiert werden muss. Und auch eine Gemeinde ist eine „parochia semper reformanda“, muss sich eben auch immer wieder am Wort Gottes messen und messen lassen, und das geht nur durch gemeinsames Bemühen, durch Austausch und Dialog.

Dieses Wort Gottes, an dem wir uns messen, richtig zu verstehen, ist eine Heidenarbeit (wenn dieses Wortspiel erlaubt ist). Trotzdem, das Wort Gottes ist an bestimmten Punkten, bei bestimmten Fragen dann auch wieder sehr klar und eindeutig. Dinge sind so auf den Punkt gebracht formuliert, dass man sie eigentlich gleich 1:1 als Text eines Leitbilds übernehmen könnte.

So auch im Römerbrief, im 12. Kapitel:

9Die Liebe sei ohne Heuchelei! Das Böse wollen wir verabscheuen, dem Guten hangen wir an. 10In geschwisterlicher Liebe sind wir einander zugetan, in gegenseitiger Achtung kommen wir einander zuvor. 11In der Hingabe zögern wir nicht, im Geist brennen wir, dem Herrn dienen wir. 12In der Hoffnung freuen wir uns, in der Bedrängnis üben wir Geduld, am Gebet halten wir fest. 13Um die Nöte der Heiligen kümmern wir uns, von der Gastfreundschaft lassen wir nicht ab. 14Segnet, die euch verfolgen, segnet sie und verflucht sie nicht! 15Freuen wollen wir uns mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden. 16Seid allen gegenüber gleich gesinnt; richtet euren Sinn nicht auf Hohes, seid vielmehr den Geringen zugetan. Haltet euch nicht selbst für klug! 17Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! 18Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht: Haltet Frieden mit allen Menschen!

Ja, so sind wir Christinnen und Christen! Wirklich? Wir wissen es: im Glauben geht es auch um Ideale, um Vorstellungen, wie wir es sein sollte, wie wir sein sollten. Gleichzeitig wissen wir auch, dass wir diesen Idealen nicht immer, oder manchmal gar nicht entsprechen. Dann ist es gut, auf Gottes Vergebung vertrauen zu können, dass er eben nicht, wie es im Psalm zum Anfang des Gottesdienstes geheißen hat, jedem „vergilt nach seinem Tun“, sondern eben nach seiner Güte. (Auch das klingt im Psalm an.)

Andererseits: vielleicht sind wir in vielen Dingen gar nicht so schlecht unterwegs, als Christinnen und Christen, als Gemeinde. Das ist mir auch am Freitag im Penguin‘s Club bewusst geworden. Wir haben da ein kleines Ritual. Jedes Mal nimmt einer oder eine von den Jugendlichen unsere gemeinsame Bibel mit und sucht sich bis zum nächsten Mal einen Vers aus, der einen besonders anspricht. Am Freitag hat eine Konfirmandin einen Abschnitt aus der Bergpredigt ausgesucht, aus dem 5. Kapitel des Matthäusevangeliums, wo Jesus sagt:

44… Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, 45so werdet ihr Söhne und Töchter eures Vaters im Himmel;

Auf die Frage, warum sie diese Bibelstelle ausgesucht hat, kam die schlichte und klare Antwort: weil wir nett zueinander sein sollen.

Das ist mir klar geworden: Ja, manchmal kann es so einfach sein. Das Böse ablehnen, das Gute suchen, gegenseitige Achtung hoch halten, füreinander das Beste wollen, auf Frieden bedacht sein, so fasst es der Apostel Paulus zusammen: und, nicht zuletzt: sich mit den Fröhlichen freuen und mit den Weinend weinen. Das ist unser Programm, unser Leitbild, unser „mission statement“ unsere „corporate identity.“

Ja, gewiss, in der Umsetzung hapert es manchmal. Und in der Konkretisierung. Aber trotzdem: manchmal macht es Sinn, komplexe Dinge auf einen einfachen Grundsatz herunter zu brechen. Auf den der Liebe. Oder, richtig empfunden und mit Tiefgang und Verantwortung, nett zueinander sein.

Schließlich hat das Jesus auch gemacht. Das Wesentliche der Liebe in den Mittelpunkt gestellt. Der Liebe, die aus der Beziehung zu Gott kommt und zum Mitmenschen hinführt. Jesus hat das Wesentliche an der Liebe auf eine ganz einfache Formel heruntergebrochen. Jesus hat die Dinge vereinfacht, ja. Und war dadurch besonders radikal. Und gut verständlich.

Wir weinen mit den Weinenden und freuen uns mit den Fröhlichen. So zeigt sich die Liebe. Wenn das gelingt, ist schon viel gewonnen. Amen.

Orgelzwischenspiel: Martin A. Seidl: Élévation Nr. 2 von Felix Alexandre Guilmant (1837 – 1911)
Gebet:

Barmherziger Gott,
du forderst uns auf,
fröhlich zu sein mit den Fröhlichen
und zu weinen mit den Weinenden.
So bringen wir vor dich die Kinder,
die unbeschwert lachen,
sich freuen über Kleinigkeiten,
die uns und dem Leben vertrauen:
Erhalte sie in ihrer Fröhlichkeit,
hilf uns, dass wir ihr Vertrauen nicht enttäuschen.
Wir bringen vor dich
die vielen Kinder überall auf der Welt,
die weinen, weil sie nichts zu essen haben
oder weil Krieg und Verfolgung ihnen das Lachen rauben:
Tröste du sie,
wenn es kein menschliches Herz mehr kann.
Schenke uns ein offenes Herz,
damit wir helfen, wo wir können.
Wir bringen vor dich alle Paare,
die einander in Liebe gefunden haben.
Erhalte ihre Liebe und ihr Glück,
schenke Ausdauer und Geduld in schweren Zeiten.
Wir bringen auch vor dich die vielen Menschen,
die enttäuscht wurden und Vertrauen verloren haben.
Lass sie spüren, dass du sie liebst,
hilf ihnen, wieder neu zu vertrauen.
Lass uns behutsam auf Menschen zugehen,
die sich zurückziehen und doch auf Vertrauen warten.
Wir bringen vor dich die älteren Menschen,
die sich freuen über die Gemeinschaft und Kontakte.
Erhalte Gesundheit und Lebensfreude.
Wir bringen auch vor dich
die alten, kranken, einsamen oder verbitterten Menschen.
Halte sie geborgen in deiner Hand,
und gib uns die nötige Geduld und Liebe im Umgang mit ihnen.
Barmherziger Gott, wir können das alles nur,
weil du dich mit uns freust, wenn wir fröhlich sind,
und mit uns weinst, wenn unsere Tränen fließen.
Dank sei dir dafür.

Und gemeinsam beten wir …

Unser Vater im Himmel …

Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, EG: 171, 1.4: Bewahre, uns, Gott

Orgelnachspiel: Martin A. Seidl: Toccata D–Dur zugeschrieben Johann Krieger (1651-1735)