Foto: Franz Radner

 

 

 

Gottesdienst aus der reformierten Erlöserkirche,
Wien-Favoriten, am 6. Februar 2022
mit Pfr. Johannes Wittich


Orgelvorspiel: Juliane Schleehahn
Lied: Evangelisches Gesangbuch, 166, 1.2.4: Tut mir auf die schöne Pforte

1) Tut mir auf die schöne Pforte,
führt in Gottes Haus mich ein;
ach wie wird an diesem Orte
meine Seele fröhlich sein!
Hier ist Gottes Angesicht,
hier ist lauter Trost und Licht.

2) Ich bin, Herr, zu dir gekommen,
komme du nun auch zu mir.
Wo du Wohnung hast genommen,
da ist lauter Himmel hier.
Zieh in meinem Herzen ein,
lass es deinen Tempel sein.

4) Mache mich zum guten Lande,
wenn dein Samkorn auf mich fällt.
Gib mir Licht in dem Verstande
und, was mir wird vorgestellt,
präge du im Herzen ein,
lass es mir zur Frucht gedeihn.

Spruch: Hebr. 3, 15:

Heute, da ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht.

Begrüßung:

Leicht wird das, was Gott uns sagen will, übertönt vom Lärm um uns herum, von er Unruhe in unserem Leben. Gut, dass wir uns den „ruhigen Moment“ eines Gottesdienstes gönnen können. Unsere Herzen, aber auch unseren Verstand öffnen können, für neue Gedanken, tröstliche und aufbauende, inspirierende und wegweisende. Nicht unbedingt durch das, was in der Predigt gesagt wird, sondern das, was im Gottesdienst in uns durch Gottes Geist entsteht.

Offene Herzen wünsche ich uns allen für diesen Gottesdienst. Gott segnet unser Reden und Hören, unser Singen und Beten. wenn wir gemeinsam feiern, im Namen …

Psalm 119, 105-112:

105 Dein Wort ist eine Leuchte meinem Fuss
und ein Licht auf meinem Pfad.
106 Ich habe geschworen und bekräftigt,
zu halten die Gesetze deiner Gerechtigkeit.
107 Ich bin tief gebeugt,
Herr, schenke mir Leben nach deinem Wort.
108 Nimm, Herr, die Opfer meines Mundes gnädig an,
und lehre mich deine Gesetze.
109 Ständig ist mein Leben in Gefahr,
aber deine Weisung vergesse ich nicht.
110 Frevler haben mir eine Falle gestellt,
ich aber bin nicht abgeirrt von deinen Befehlen.
111 Deine Vorschriften habe ich auf ewig zum Erbe erhalten,
sie sind meines Herzens Freude.
112 Ich neige mein Herz, deine Satzungen zu befolgen,
auf ewig, bis ans Ende.

Gebet:

Vor dir Gott,
bekennen wir, was falsch in unserem Leben läuft:
Wir nehmen dein Wort oft nicht ernst,
verschließen unser Herz vor ihm,
und geraten dadurch an unsere Grenzen.
Darum bitten wir um Vergebung.
Du lädst uns ein
auf dich zu hören
und deinem Sohn Jesus Christus nachzufolgen.
Das hat Auswirkungen auf uns
und die Menschen, die mit uns unterwegs sind.
Du willst,
dass allen Menschen geholfen wird.
Dazu brauchst du auch uns.
Dein Wort hat die Kraft,
uns alle zu verändern.
So wollen wir wieder auf dein Wort hören.
Sprich zu uns,
überwinde unser Missverstehen,
mach, dass dein Wort uns erreicht,
und auch durch uns die Welt.
Dazu stärke uns,
wenn wir jetzt in deiner Gegenwart feiern.
Amen.

Lesung: Lk. 8,4-8 (9-15): Wie das Wort Gottes wirkt, das erzählt Jesus vor einer großen Volksmenge in einem Gleichnis:

4 Als nun viel Volk zusammenkam und Leute aus allen Städten ihm zuströmten, sprach er in einem Gleichnis: 5 Der Sämann ging aus, seinen Samen zu säen. Und beim Säen fiel etliches auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel des Himmels frassen es auf. 6 Anderes fiel auf Fels, ging auf und verdorrte, weil es keine Feuchtigkeit hatte. 7 Anderes fiel mitten unter die Dornen, und mit ihm wuchsen die Dornen und erstickten es.
8 Wieder anderes fiel auf guten Boden, ging auf und brachte hundertfach Frucht. Als er dies gesagt hatte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!
9 Seine Jünger aber fragten ihn, was dieses Gleichnis bedeute. 10 Er sprach: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, zu den anderen aber wird in Gleichnissen geredet, damit sie sehend nicht sehen und hörend nicht verstehen.
11 Das Gleichnis aber bedeutet dies: Der Same ist das Wort Gottes. 12 Die auf dem Weg sind die, welche es hören. Dann kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihren Herzen, damit sie nicht zum Glauben kommen und gerettet werden. 13 Die auf dem Fels sind die, welche das Wort hören und freudig aufnehmen. Doch sie haben keine Wurzeln: Eine Zeit lang glauben sie, in der Zeit der Versuchung aber fallen sie ab. 14 Das unter die Dornen Gefallene, das sind die, welche es gehört haben und dann hingehen und von Sorgen und Reichtum und Freuden des Lebens erstickt werden und die Frucht nicht zur Reife bringen.
15 Das auf dem guten Boden, das sind die, welche das Wort mit rechtem und gutem Herzen gehört haben, es bewahren und Frucht bringen in Geduld
.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, 379, 1.2.5: Gott wohnt in einem Lichte

1) Gott wohnt in einem Lichte, dem keiner nahen kann.
Von seinem Angesichte trennt uns der Sünde Bann.
Unsterblich und gewaltig ist unser Gott allein,
will König tausendfaltig, Herr aller Herren sein.

2) Und doch bleibt er nicht ferne, ist jedem von uns nah.
Ob er gleich Mond und Sterne und Sonnen werden sah,
mag er dich doch nicht missen in der Geschöpfe Schar,
will stündlich von dir wissen und zählt dir Tag und Jahr.

5) Nun darfst du in ihm leben und bist nie mehr allein,
darfst in ihm atmen, weben und immer bei ihm sein.
Den keiner je gesehen noch künftig sehen kann,
will dir zur Seite gehen und führt dich himmelan.

Predigt zu Apg. 16, 13-24: Der Apostel Paulus und sein Begleiter und Freund Silas in Philippi:

13 Am Sabbat gingen wir vor das Stadttor hinaus an einen Fluss; wir nahmen an, dass man sich dort zum Gebet treffe. Wir setzten uns nieder und sprachen mit den Frauen, die sich eingefunden hatten. 14 Auch eine Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus Thyatira, eine Gottesfürchtige, hörte zu; ihr tat der Herr das Herz auf, und sie liess sich auf die Worte des Paulus ein.
15 Nachdem sie sich samt ihrem Haus hatte taufen lassen, bat sie: Wenn ihr überzeugt seid, dass ich an den Herrn glaube, so kommt zu mir in mein Haus und bleibt da; und sie bestand darauf.
16 Es geschah aber – wieder auf dem Weg zur Gebetsstätte -, dass eine Sklavin auf uns zukam, die einen Wahrsagegeist hatte und mit der Wahrsagerei ihren Herren grossen Gewinn einbrachte. 17 Die lief Paulus und uns hinterher und schrie: Diese Menschen sind Knechte des höchsten Gottes, sie verkündigen euch den Weg des Heils! 18 Das tat sie viele Tage lang. Als Paulus es satt hatte, wandte er sich um und sagte zu dem Geist: Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, aus ihr auszufahren. Und augenblicklich fuhr er aus.
19 Als aber ihre Herren sahen, dass ihre Hoffnung auf Gewinn dahin war, ergriffen sie Paulus und Silas und schleppten sie auf den Marktplatz vor die Behörden. 20 Sie führten sie den Richtern der Stadt vor und sagten: Diese Leute bringen unsere Stadt durcheinander. Es sind Juden, 21 und sie verkünden Sitten und Bräuche, die wir als Römer weder übernehmen noch beachten dürfen. 22 Auch die Menge stellte sich gegen sie, und die Richter der Stadt liessen ihnen die Kleider vom Leib reissen und befahlen, sie zu geisseln.
23 Nachdem man ihnen viele Schläge gegeben hatte, warf man sie ins Gefängnis und trug dem Gefängniswärter auf, sie in sicherem Gewahrsam zu halten. 24 Auf diesen Befehl hin führte der sie in den innersten Teil des Gefängnisses und legte ihnen die Füsse in den Block.

Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder!

Dabei hatte doch alles so gut angefangen für Paulus und Silas! Und jetzt das: angezeigt, verhaftet, vor Gericht gezerrt. Verurteilt zu Peitschenhieben, ins Gefängnis geworfen, die Füße im Block gefesselt.

Und das Alles nur, ja, weshalb eigentlich?

Schauen wir uns die Vorgeschichte an: vor dem gerade Gehörten war etwas geschehen, was bis heute Auswirkungen hat, und zwar für einen jeden und jede von uns: Paulus, der bis jetzt nur im östlichen Mittelmeer und im heutigen Anatolien unterwegs gewesen ist, das Evangelium verkündet, Menschen für den neuen Glauben gewonnen, Gemeinden gegründet hat, er hat zum ersten Mal europäischen Boden betreten. Damit beginnt die Geschichte des Christentums auf unserem Kontinent. Heute nehmen wir das als selbstverständlich hin, sprechen vom christlichen Abendland, halten das Christentum für etwas durch und durch Europäisches. Dabei hat es dieses einen Schrittes des Paulus bedurft, die Fahrt über’s Meer von der heutigen Türkei ins heutige Griechenland, um den Glauben an Jesus Christus erst überhaupt zu etwas Europäischem zu machen.

Die erste Stadt, in der Paulus seine Tätigkeit als Verkündiger der guten Botschaft Gottes beginnt, ist Philippi. Wie er das angeht, ist schon spannend. In anderen Städten sucht Paulus gern einmal die örtliche Synagoge auf. Schließlich ist er ja selbst Jude. Dort ist es üblich, dass die Männer über religiöse Fragen diskutieren. Das tut Paulus dann auch, aber bringt in die zunächst einmal innerjüdische Diskussion gerne die neue Sicht der Dinge hinein, die er von Jesus gelernt hat. Er polarisiert damit, die Reaktionen könnten nicht unterschiedlicher sein. Manche schließen sich ihm an, lassen sich taufen; andere lassen ihn als Unruhestifter erst aus der Synagoge, dann glich aus der Stadt werfen.

Manch eine Predigt des Paulus findet auch auf dem Marktplatz des jeweiligen Ortes Stadt. Dort wo sich gelehrte Redner treffen und auch auf ein interessiertes Publikum zu finden ist.

Aber hier, in Philippi, geht Paulus ganz anders vor. Er setzt sich an den Fluss. Denn dort treffen sich Frauen zum Gebet. Keine jüdischen Frauen, aber offensichtlich solche, die mit dem jüdischen Glauben sympathisieren. Die Bibel nennt sie „Gottesfürchtige“. Zur Synagogengemeinde gehören sie daher nicht; sich mit den gelehrten Männern auf dem Marktplatz messen, wollen sie auch nicht. Sie wollen unter sich sein, ganz unspektakulär, wohl auch zum Gespräch und zum Austausch und eben zum Gebet.

Mit diesen Frauen spricht Paulus. Man hat einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt: die jüdische Tradition. Aber beide Seiten wollen auch aus der jüdischen Tradition heraustreten. Paulus, weil sich ihm durch Christus neue Aspekte eröffnet haben. Und Lydia, weil es für sie als „Heidin“ nur schwer möglich ist, wirklich ein Teil der jüdischen Gemeinde zu werden.

Der Glaubenszugang des Paulus, also Judentum mit einer Weite für alle, die zum Gott der Juden dazugehören werden, ist die Perspektive, die Lydia braucht. Und so lässt sie sich taufen.

Oft genug endet hier im Gottesdienst die Geschichte und die Predigt ist dann über Lydia, die erste europäische Christin. Die Geschichte geht aber weiter, und es tritt eine weitere Frau auf, und die ist ganz und gar anders: eine Sklavin mit hellseherischen Fähigkeiten. Die mit ihrer Gabe von ihren Besitzern (anscheinend sind es sogar mehrere) äußerst gewinnbringend vermarktet wird.
Dass es diese Fähigkeit, diesen „Wahrsagegeist“, der von einem Besitz ergreifen kann, gibt, steht für biblische Autoren außer Zweifel. Und so ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass diese Wahrsagerin sofort erkennt, wer Paulus und Silas wirklich sind: „Knechte des höchsten Gottes, die den Weg zum Heil verkündigen.“ Das herumzuschreien wird diese Frau über Tage nicht müde.

Eigentlich ideal für Paulus und Silas. Ihnen und ihrer Botschaft mag man vielleicht in Philippi nicht glauben, aber wenn das der lokale Wahrsage-Star sagt, dann muss es wohl stimmen. Das ist eine Form von Öffentlichkeitsarbeit, die besser nicht sein könnte. Die Frau sorgt für Aufmerksamkeit, lenkt den Blick auf die beiden und ist auch noch eine Art „Testimonial“.

Allerdings: es wird berichtet, dass Paulus davon nur genervt war. Nach ein paar Tagen hat er es satt. Auf diese Art von PR kann und will er gerne verzichten. Und so macht er Gebrauch von seinen besonderen Fähigkeiten, die Gott ihm geschenkt hat. Er kann böse Geister aus Menschen austreiben. Das macht er jetzt auch: er treibt den Wahrsagegeist, der die Frau immer wieder erfasst und offensichtlich auch terrorisiert aus. Ganz sicher auch in der guten Absicht, dieser Frau wieder ein gesundes und „normales“ Leben zu ermöglichen. Aber damit beginnen erst die Probleme.

Denn: nun hat diese Frau als Einnahmequelle für ihre Besitzer ausgedient. Das so einfach verdiente Geld, es fließt nicht mehr. Geschäftsschädigendes Verhalten des Paulus, das es schlimmer nicht sein könnte. Die Reaktion der Besitzer ist nachvollziehbar: sie zerren Paulus und Silas vor den Kadi. Mit den schon am Anfang erwähnten Folgen.

Hat das sein müssen? Ich denke ja. Zum einen kann Paulus guten Gewissens auf sprichwörtlich „marktschreierische“ Methoden der Verkündigung verzichten. Seien Botschaft ist nichts Lautes und Oberflächliches. Die Botschaft von der Zuwendung Gottes zu den Menschen ist auch eine der gegenseitigen Zuwendung zwischen Menschen. Und die ist nachhaltiger als öffentliche Aufmerksamkeit, die, damals wie heute, schnell verpuffen kann. Die „Werbung“ für den neuen Glauben geschieht am Fluss, beim Reden, Zuhören, gemeinsamen beten.

Und aus dem Glauben an einen liebenden Gott kann Paulus letztlich auch nicht anders, als diese wahrsagende Frau von ihrem „Wahrsagegeist“ zu befreien. Dieser macht sie abhängig, bestimmt ihr Leben, und bringt andere Menschen dazu, über sie zu bestimmen, aus reiner Geldgier.

Die Purpurhändlerin Lydia findet aus der kleinen, feinen Splittergruppe am Fluss hinein in eine weltweite Glaubensbewegung. Die hellsehende Sklavin muss jetzt als Mensch gesehen und ernst genommen werden; ihr Wert wird nicht mehr von ihrer vermeintlichen Fähigkeit, die in Wirklichkeit nur eine Last ist, bestimmt.

Und Paulus und Silas: für die geht die Geschichte zunächst einmal gar nicht gut aus. Aber, „Spoileralarm“, wie es bei den Jugendlichen heißt: selbst aus der Situation im Gefängnis lässt Gott etwas Gutes entstehen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Amen
.

Orgelzwischenspiel: Juliane Schleehahn
Gebet:

Barmherziger Gott, lieber Vater im Himmel,
wir danken dir, dass du uns dein Wort gegeben hast
als Richtung für unser Leben.
Wir vertrauen auf dein Wort und bitten dich:

Für Menschen, die an deinem Wort verzweifeln:
dass dein guter Geist ihre Herzen öffnet
und den Blick weitet für deine Wunder.

Für Menschen, die in unserer Gemeinde mitarbeiten
und unsere Gemeinde zu einer gastfreundlichen Gemeinde machen:
dass sie selbst Freude an diesem Dienst haben.

Für alle, die aus anderen Ländern in unser Land kommen
und bei uns Heimat suchen,
dass sie bei uns Gastfreundschaft erleben
und wir auch von ihrem Glauben erfahren.

Für alle, die politisch Verantwortung haben,
dass sie verantwortlich mit ihrem Amt umgehen
und auf dein Wort der Menschlichkeit hören.

Zuletzt, lieber Vater im Himmel,
bitten wir für uns selbst:
dass wir unsere Taufe ernst nehmen
und gewiss sind, dass du uns bei unserem Namen rufst,
jeden Tag neu.

Und gemeinsam beten wir …

Unser Vater im Himmel …

Abkündigungen:
Segen:

Der Herr segne dich und behüte dich,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig,
der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen.

Lied: Evangelisches Gesangbuch, EG: 347, 1-4: Ach bleib mit deiner Gnade

1) Ach bleib mit deiner Gnade
bei uns, Herr Jesu Christ,
dass uns hinfort nicht schade
des bösen Feindes List.

2) Ach bleib mit deinem Worte
bei uns, Erlöser wert,
dass uns sei hier und dorte
dein Güt und Heil beschert.

3) Ach bleib mit deinem Glanze
bei uns, du wertes Licht;
dein Wahrheit uns umschanze,
damit wir irren nicht.

4) Ach bleib mit deinem Segen
bei uns, du reicher Herr;
dein Gnad und all’s Vermögen
in uns reichlich vermehr.

Orgelnachspiel: Juliane Schleehahn: Praeludium VI in g-Moll von Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)