Predigt zum Gottesdienst in der Erlöserkirche
am 29. Okt. 2023
von Pfrin.i.R. Annamarie Reining
Begrüßung Guten, späten Morgen, liebe Gemeinde. Über dieser Woche im Kirchenjahr steht ein Zitat aus dem Römerbrief des Apostels Paulus: „Lass Dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Paulus hat den Satz wenige Jahre v o r den schrecklichen Gräueltaten der Römer an den Christen beim Brand von Rom geschrieben. Wir Heutigen hören mit Abscheu vor den jäh aufblitzenden Horrortaten der Hamas vor drei Wochen. Es fehlen die Worte. Zugleich fielen jahrelange Unrechts – Handlungen an den Palästinensern in der Öffentlichkeit gar nicht mehr auf. Dennoch haben einzelne Christen und kleinere Gruppen seit vielen Jahren Wege der Verständigung gesucht und gefunden. Immer gab es deswegen auch Streit und Anfeindungen. Wir wollen heute auf Spurensuche gehen, was es dafür braucht, zumindest im Kleinen ‚Böses durch Gutes‘ zu überwinden. Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus! Predigt zu Math. 10,34-37 am 29. 10. 2023 Liebe Gemeinde! Es sind die Jahre zwischen 70 und 80 unserer Zeitrechnung: Jerusalem ist von den Römern zerstört, das Land teilweise verwüstet, die kleinen, verstreuten Christen–Gemeinden werden oft angefeindet. Da schreibt ein jüdischer Christ das Matthäusevangelium. Im Angesicht von Gewalt und Vertreibung zeigt er Wege, um in der Nachfolge Jesu Hass und Ohnmacht zu überwinden. Dazu bündelt er Aussprüche Jesu in der sogenannten Aussendungsrede. Da heißt es: Text: Matthäus 10, 34 – 37 Ich möchte mit dem 2. Spruch Jesu beginnen: „Die ihren Vater oder ihre Mutter mehr lieben als mich, passen nicht zu mir und auch die, die ihre Söhne und Töchter mehr lieben als mich, passen nicht zu mir“. So übersetzt die Übersetzung: Bibel in gerechter Sprache. Ich möchte dazu eine Geschichte erzählen. Ein Bergbauer sucht ein verirrtes Tier im steilen Gelände. Dabei findet er ein ermattetes, wuscheliges Raubvogel – Küken im Geröll. Er trägt es nach Hause und setzt es in den Hühnergarten. Er staunt, als er abends sieht, dass die Hühner das fremde Tier wie selbstverständlich angenommen haben und das gefundene Küken eifrig nach Fressbarem am Boden sucht. Das Vogelkind wächst heran. Bald sitzt es abends bei den anderen Junghühnern auf den Sprießeln zur Nachtruhe. Manchmal bekommt es von den alten Hennen einen ordentlichen Pecker, aber vor dem scharfen Schnabel des Neuen bekommt sogar der Hahn Respekt. Gerade als dem Raubvogelkind statt des wuscheligen ein schönes anliegendes Federkleid gewachsen war, kommt ein Förster zu Besuch und sieht das Tier. „Du hast ja einen Adler im Hühnerstall“ entsetzt sich der Förster. „Der sollte ja längst fliegen“! Der Bauer meint: „nein, nein, er ist längst zum Huhn geworden! Schau nur genau hin“. Aber der Förster lässt nicht locker. So tragen sie das Adlerkind auf den Dachboden, der Bauer öffnet die Luke und setzt das Tier auf das schmale Sims. Auf der einen Seite hohe Bäume, auf der anderen Seite das offene, helle Tal. Der Wind zerzaust ihm das Federkleid, da erhebt sich der junge Adler und fliegt… hinunter in den Hühnergarten und verschwindet schnell im Hendlstall. Nach weiteren Wochen kommt der Förster wieder. Er hat einen geflochtenen, verschließbaren Korb in der Hand. „Heute Nacht wird er fliegen!“ Es ist noch ganz dunkel als die beiden Männer einen steilen Bergpfad hinaufsteigen. Der Adler sitzt verpackt im Korb. Der Förster hatte ihm eine Haube, wie sie Falken tragen, über den Kopf gezogen. Es dämmert schon, als sie einen Felsvorsprung erreichen. Im Osten färbt sich der Himmel gelb und rot. Nun sitzt der Adler oder die Adlerin dem Morgenlicht zugewandt zwischen den beiden Männern. Als die Sonnenscheibe sichtbar wird, nimmt der Förster dem Tier die Haube ab. Der Vogel blickt gespannt in das wunderbare Farbenspiel und als die Sonne sich vom Horizont gelöst hat, streckt er seine Flügel aus und fliegt dem Licht entgegen. Die Männer schauen ihm nach, bis er ihren Augen entschwindet. Was wird aus dem jungen Adler werden? Er wird die markanten Fähigkeiten seiner Augen entdecken. Das Tier wird einen Partner oder eine Partnerin finden, einen Horst bauen, Kinder großziehen, und den Flug ins Licht wird er immer im Herzen tragen. Kehren wir in die damalige Menschenwelt in Israel zurück. In Jesus Christus erkannten die frühen Christen d a s Licht der Welt und an sich selbst merkten sie, wie sich ihr Verhalten dabei veränderte. Sie sehen einfach mehr: die Schwachen oder die allzu Lauten, die mit ihrer Situation nach dem Krieg nicht fertig werden. Um erleuchtete Augen des Herzens bitten die Christen Gott, wenn sie auf ihre Gesellschaft blicken. Aus dem einbetonierten Hass ihrer Familien und ihrer Umgebung gegen die Römer stiegen sie heraus und suchten nach Wegen der Heilung und der Vertreibung der Aggressions-Dämonen. Er, Christus, ist unser Friede, schrieb der Verfasser eines Briefes im N.T. Nur, es ist kein billiger Friede. Er kann über Schmerz und Tod gehen. Jesus hatte es am eigenen Leib erfahren und seine Nachfolger bald auch. Aber was bedeutet es, wenn Jesus im 1. Spruch sagt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“. Dazu ein Zitat aus dem Buch des Propheten Micha: „Denn ich bin gekommen die Männer gegen ihre Väter aufzubringen, die Töchter gegen ihre Mütter und die Schwiegertöchter gegen ihre Schwiegermütter. Feindlich sind einander die Menschen, die zusammen ein Haus bewohnen.“ Ein solches Wort Jesu erschreckt zunächst, hatte er nicht knapp davor die Friedensstifter seliggepriesen? Wir kennen bei uns, Gott sei Dank, Schwerter meist nur von schrecklichen Bildern in den Museen. Wir vergessen aber, dass das Schwert wahrscheinlich von Anfang der Menschheitsgeschichte an ein starkes Symbol für das Recht und die Rechtsprechung war. Bei Ausgrabungen aus der Jungsteinzeit – etwa vor 8.000 bis 15000 Jahren entdeckte man in besonderen Gräbern Steinschwerter. Die waren mit ihrem Gewicht für die Abwehr von Feinden oder für die Jagd sicher unbrauchbar. Historiker nehmen an, dass sie für die Macht der Rechtsprechung standen. Wer das Schwert verliehen bekam, war damit als Richter in der neolithischen Siedlung anerkannt, nimmt man an. Mit den geschliffenen Rändern, einer scharfen Spitze und einem Griff gelten Schwerter bis heute als Symbol für Rechtssicherheit. Das Schwert zeigt: Es ist ernst mit der Sache! Vor unserem österreichischen Parlament steht die Statue der Pallas Athene als Ausdruck für erhoffte Weisheit. Unter ihr sitzen zwei Gestalten: die Gesetzgebung mit dem Buch und die Rechtsprechung mit dem Schwert in der Hand. Also, seit tausenden von Jahren gehören das Schwert und die Hoffnung auf Recht und Gerechtigkeit zusammen. Und dazu braucht es das helle Licht der Weisheit. Die wurde im 1. Testament, dem A.T. besonders dem König Salomo zugeschrieben. Lassen wir uns noch einmal von einer sehr bekannten Geschichte leiten. In Jerusalem leben zwei schwangere Frauen zusammen in einem Haus. Innerhalb von 3 Tagen bringen sie jeweils einen Buben zur Welt. Eine der Wöchnerinnen merkt in der Nacht, dass ihr Baby gestorben war. Sie steht auf, geht auf leisen Sohlen zur anderen Frau, nimmt ihr ihren schlafenden Säugling aus dem Arm und legt ihr totes Kind an seine Stelle. Die Aufregung am Morgen kann man sich gut vorstellen. Sofort hatte die betrogene Frau gesehen, dass das tote Kind in ihrem Arm nicht das ihre war. Die ganze Nachbarschaft wird in das Geschrei einbezogen und es wird beschlossen, die Sache vor den Richterstuhl Salomos zu bringen. Der König hört genau hin, dann befiehlt er seinem Diener: „Nimm das Schwert und teile das lebende Kind, dann bekommt jede die Hälfte.“ – Und eine der Frauen stimmt tatsächlich zu, aber die andere schreit auf: „Ach, mein Herr, gebt ihr, der anderen, das Kind lebendig und tötet es nicht!“ ich verzichte darauf, wenn es nur am Leben bleibt! Und Salomo urteilt: „Gebt dieser Frau das Kind, sie ist die Mutter!“ Dieses Urteil vor fast 3.000 Jahren ist in die Geschichte ein gegangen und begründete den Ruf des Königs Salomo, als weisen und erleuchteten Richter. Aber was war eigentlich geschehen? Angesichts des Schwertes schafft die tatsächliche Mutter des Säuglings einen unglaublichen Wandel: „ Bitte, mein Herr gibt ihr doch das Kind, tötet es nur nicht!“ Sie verzichtete auf die Mutterschaft und ihr Ansehen in der Stadt, da sie nun ja als Schuldige dastehen musste. Alles, damit das Kind leben und Zukunft haben kann! Damit sind wir in der unmittelbaren Gegenwart! Das Schwert, von dem Jesus spricht und das Schwert des Königs Salomo berühren uns Heutige ja direkt. Und es ist ernst! Im weltweiten Klimawandel sind Recht und Gerechtigkeit gefragt. Die Länder der nördlichen Hemisphäre sind ungleich stärker in der Pflicht, als die südlichen, haben sie doch den Klimawandel ungleich stärker befördert. Was sind wir bereit an Gewohntem loszulassen, um unserer Jugend, aber auch den jungen Menschen in den südlichen Weltgegenden Zukunft zu ermöglichen? Der Streit über Wohlstandsverzicht kocht längst hoch: in den Familien, und in der Gesellschaft. Das Wort ‚Verzicht‘ ist zu einem Unwort – zu einem NO GO geworden. Dennoch: jeder und jede von uns weiß, wo er oder sie fossile Energie einsparen kann. Wir müssen nur ins Tun kommen. Gebe Gott, dass wir wie der junge Adler fähig werden in der Lichterfahrung Jesu Christi, tiefer sehen zu lernen und ungewohnte Wege zu gehen Gebe Gott, dass wir die Kraft finden, wie die Mutter vor dem König Salomo, Liebgewonnenes loszulassen, damit die nächsten Generationen Zukunft haben. Schenke uns Gott, erleuchtete Augen des Herzens. Amen. Pfrin.i.R. Annamarie Reining |